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Der Mann, der kein Mörder war

Der Mann, der kein Mörder war

Titel: Der Mann, der kein Mörder war
Autoren: Michael Hjorth , Rosenfeldt
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sein … fünfzehn Jahren gesehen.» Anna sprach in ruhigem Ton. «Als du mitgeholfen hast, diesen Serienmörder zu fassen.»
    «Hinde. 1996.»
    «Damals habe ich dich jedenfalls gesehen. Im Fernsehen. Wenn ich dich immer noch hätte erreichen wollen, hätte ich dich damals bestimmt gefunden.»
    Sebastian verarbeitete das Gesagte eine Sekunde lang.
    «Aber … habe ich ein Kind?»
    «Nein.
Ich
habe eine Tochter. Mein Mann hat eine Tochter. Du hast keine. Jedenfalls nicht hier und nicht mit mir.»
    «Also weiß sie gar nicht, dass …»
    «… dass du ihr Vater bist?», ergänzte Anna. «Nein. Mein Mann weiß natürlich, dass er es nicht ist, aber sie nicht, und wenn du es ihr erzählst, wirst du alles zerstören.»
    Sebastian nickte und sah zu Boden. Eigentlich war er nicht überrascht. Das war eines der Szenarien, die er im Kopf durchgespielt hatte – dass das Kind nichts wusste. Nicht ahnte, dass es einen anderen Vater hatte. Dass er eine intakte Familie zerstören würde. Das hatte er schon mehrmals getan, wenn er mit verheirateten Frauen ins Bett gegangen und möglicherweise nicht allzu diskret gewesen war, aber dies war etwas anderes.
    «Sebastian …»
    Er hob seinen Kopf. Anna hatte ihre Arme nicht mehr resolut verschränkt und sah ihn nun mit einem Blick an, der seine volle Aufmerksamkeit forderte.
    «Du würdest wirklich etwas zerstören. Für alle. Sie liebt uns. Sie liebt ihren Vater. Wenn sie erfahren würde, dass wir sie über all die Jahre angelogen haben … Ich glaube, das würden wir nicht durchstehen.»
    «Obwohl sie mein Kind ist, kann ich …» Ein lahmer, letzter Versuch. Von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
    «Das ist sie nicht. Vielleicht war sie es einmal. Eine Zeitlang. Hätte es werden können, wenn du dich bei mir gemeldet hättest. Aber jetzt ist sie es nicht.»
    Sebastian nickte. Er verstand die Logik ihrer Worte. Wozu sollte es auch gut sein? Was hätte er davon? Fast schien es, als könnte Anna seine Gedanken lesen.
    «Was kannst du ihr schon geben? Ein vollkommen Fremder, der nach dreißig Jahren plötzlich auftaucht und behauptet, er sei ihr Vater? Was soll denn dabei herauskommen, außer dass alles zerbricht?»
    Sebastian nickte erneut und ging zur Tür.
    «Ich gehe jetzt.»
    Als er den Türgriff berührte, legte Anna kurz ihre Hand auf seinen Oberarm. Er wandte sich ihr zu.
    «Ich kenne meine Tochter. Du würdest nur eines erreichen: Sie würde dich hassen, und unsere Familie wäre zerstört.»
    Sebastian nickte.
    Er hatte verstanden.
    Er verließ die Wohnung und das alternative Leben, das seines hätte sein oder werden können. Anna schloss die Tür hinter ihm, und er blieb auf der Treppe stehen.
    Das war alles. Es war vollbracht.
    Er hatte eine Tochter, die er nie sehen und nie kennenlernen würde. Die ganze Anspannung, die sich so lange in ihm aufgestaut hatte, fiel von ihm ab, und eine plötzliche, körperliche Müdigkeit überkam ihn. So sehr, dass seine Beine ihn kaum noch zu tragen vermochten. Sebastian wankte zu der Treppe, die ins nächste Stockwerk führte, setzte sich und starrte vor sich hin. Leer, vollkommen leer.
    In der Ferne hörte er das dumpfe Geräusch der Haustür, die drei Stockwerke unter ihm ins Schloss fiel. Er überlegte, wie er es nach Hause schaffen sollte. Es war nicht weit, aber in diesem Moment kam ihm die Strecke unendlich vor. Er brauchte einige Sekunden, um zu registrieren, dass der Aufzug unmittelbar links neben ihm in Bewegung war. Er stand auf. Wenn er in diesem Stockwerk hielt, würde er einsteigen und nach unten fahren. Das wäre ein erster Schritt auf der Wanderung zu seiner leeren Wohnung. Er hatte Glück, der Aufzug hielt im dritten Stock. Sebastian hatte überhaupt keine Lust, irgendjemandem zu begegnen, noch nicht einmal zu einem sinnlosen Lächeln in der Aufzugtür hätte er sich in diesem Moment durchringen können. Während die Person im Lift die Gittertür beiseiteschob, ging Sebastian einige Schritte rückwärts die Treppe hoch.
    Sie verließ den Aufzug, und Sebastian konnte durch die Gitter über der Aufzugkabine einen Blick auf sie erhaschen.
    Irgendetwas an der Gestalt kam ihm bekannt vor, ziemlich bekannt.
    «Hallo, Mama, ich bin’s», hörte er Vanja sagen. Sie ließ die Tür offenstehen, während sie aus ihren Schuhen schlüpfte, und für einen kurzen Moment sah Sebastian noch einmal Anna im Flur stehen, bis Vanja die Tür hinter sich schloss.
    Jetzt erinnerte er sich. Der Name an der Tür. Er hatte sich so sehr auf
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