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Der Mann, der kein Mörder war

Der Mann, der kein Mörder war

Titel: Der Mann, der kein Mörder war
Autoren: Michael Hjorth , Rosenfeldt
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Sabine, sondern um sich selbst. Über seine Erkenntnis.
    «Erinnerst du dich noch daran, was du bei unserer letzten Begegnung zu mir gesagt hast? Du sagtest, Gott hätte mich verlassen. Er hätte seine schützende Hand von mir genommen.»
    Sebastian blickte auf das Bild seiner verstorbenen Frau und seines verstorbenen Kindes, auf den unfertigen Grabstein, auf den Friedhof der Stadt, in der er aufgewachsen war und in der niemand ihn mehr kannte, niemand nach ihm fragte, niemand ihn vermisste. Eine Tatsache, die für jede andere Stadt auch zutraf. Sebastian wischte sich mit der Rückseite der linken Hand die Tränen von den Wangen.
    «Du hattest recht.»

S torskärsgatan 12.
    Er war immerhin dort angekommen. An dem großen Mehrfamilienhaus im funktionalistischen Stil. Sebastian hatte keine Ahnung von Architektur und war auch nicht daran interessiert, etwas darüber zu lernen, aber er wusste, dass die Häuser im Westen des Stadtteils Gärdet dem Funktionalismus zuzuordnen waren.
    Und er wusste, dass in dem Gebäude, vor dem er stand, Anna Eriksson wohnte. Die Mutter seines Kindes. Hoffentlich. Oder?
    Sebastian war nun schon seit fast einer Woche wieder in Stockholm. Seither war er jeden Tag an dem Haus in der Storskärsgatan 12 vorbeigelaufen. Manchmal sogar mehrmals täglich. Bisher war er allerdings noch nicht hineingegangen. Am nächsten war er dem Haus gekommen, als er durch das Fenster am Eingang in den Hausflur gesehen hatte und einen Blick auf die Übersichtstafel über die Bewohner erhaschen konnte. Anna Eriksson wohnte im dritten Stock.
    Sollte er es wagen? Oder lieber doch nicht?
    Seit seiner Ankunft hatte Sebastian ernsthaft mit dieser Frage zu kämpfen. In Västerås war sie ihm in vielerlei Hinsicht abstrakter vorgekommen. Wie ein Gedankenspiel. Er konnte die Vor- und Nachteile abwägen. Einen Entschluss fassen. Ihn rückgängig machen. Den rückgängig gemachten Entschluss rückgängig machen. Ganz ohne Konsequenzen.
    Jetzt war er hier. Die Entscheidung, die er traf, konnte unwiderruflich sein.
    Umdrehen und gehen. Oder nicht.
    Sich zu erkennen geben. Oder nicht.
    Er schwankte hin und her. Manchmal mehrmals am Tag. Die Argumente waren dieselben, die er sich schon in Västerås zurechtgelegt hatte. Es fasste keinen neuen Gedanken, kam zu keinen neuen Erkenntnissen. Er verfluchte seine Unentschlossenheit.
    Manchmal trat er seinen Spaziergang nach Gärdet in der Überzeugung an, dass er direkt durch die Tür treten, die Treppen hinaufgehen und klingeln würde. Dann geschah es mitunter, dass er nicht einmal in die Storskärsgatan einbog.
    Andere Male, wenn er gar nicht daran dachte, sich dem Haus zu nähern, konnte er stundenlang vor der dunklen Holztür am Eingang der Hausnummer 12 verharren. Als wäre er von fremden Mächten gesteuert. Aber bisher war er nie im Treppenhaus gewesen, noch nicht.
    Doch heute sollte der Tag sein, das fühlte er. Es war ihm gelungen, den ganzen Weg hierher einen geraden Kurs einzuhalten. Nachdem er seine Wohnung auf der Grev Magnigatan verlassen hatte, war er der Storgatan gefolgt, rechts in den Narvavägen eingebogen und in Richtung Karlaplan gegangen, hatte das Einkaufszentrum Fältöversten passiert, den Valhallavägen überquert – und schon war er da. Ein Spaziergang von einer knappen Viertelstunde. Falls Anna Eriksson hier auch schon gewohnt hatte, als ihr Kind jünger war, waren sie ihm vielleicht im Fältöversten begegnet. Vielleicht hatten sein Kind und dessen Mutter vor ihm in der Schlange an der Wursttheke des Supermarkts gestanden. Diese Gedanken beschäftigten Sebastian, als er auf der anderen Straßenseite stand und zum Haus Nummer 12 hinüberblickte.
    Die Dämmerung brach langsam herein. Es war ein ausgesprochen schöner Frühlingstag in Stockholm gewesen, beinahe vorsommerlich warm.
    Heute würde er sich zu erkennen geben und mit ihr sprechen.
    Er hatte sich endlich entschieden.
    Er überquerte die Straße und ging zur Haustür. Just in dem Moment, als er überlegte, wie er ins Haus gelangen sollte, verließ eine Frau Mitte dreißig den Aufzug im Treppenaufgang und ging zur Haustür. Er deutete es als Zeichen dafür, dass er Anna Eriksson genau heute treffen sollte.
    Sebastian sprang genau im selben Moment heran, als die Frau auf den Bürgersteig hinaustrat. Er erreichte die Tür rechtzeitig, bevor sie zufiel.
    «Hallo, danke, was für ein Glück.»
    Die Frau würdigte Sebastian kaum eines Blickes. Sebastian betrat das Treppenhaus, und die Tür fiel mit einem
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