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Der Mann aus London

Der Mann aus London

Titel: Der Mann aus London
Autoren: Georges Simenon
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Hafenbahnhof.«
    »Woher kennen Sie den englischen Staatsangehörigen mit Namen Brown?«
    Maloin bereute schon, daß er gekommen war. Er hatte nicht gedacht, daß so etwas auf ihn zukommen würde. Er hatte sich seinem unabänderlichen Schicksal stellen und ins Gefängnis gehen wollen, da er Brown umgebracht hatte. Aber schlicht, und mit Würde.
    »Ich habe gesehen, wie er seinen Partner ins Wasser gestoßen hat, und hinterher habe ich den Koffer herausgefischt.«
    Maloin hatte die gleiche verstockte Miene wie an den Tagen, an denen sein Schwager zu Besuch kam.
    »Was haben Sie mit diesem Koffer gemacht?«
    »Er hat ihn Monsieur Mitchel gerade eben zurückgebracht«, schaltete Molisson sich ein, der Maloins Ungeduld erriet.
    »Warum?«
    »Weil ich Brown umgebracht hatte, verdammt noch mal!« brüllte Maloin.
    »Einen Moment. Das scheinen mir doch zwei verschiedene Dinge zu sein. Was hat Sie dazu veranlaßt, Brown umzubringen?«
    »Ich wollte ihn gar nicht umbringen. Ich habe ihm Wurst und Sardinen gebracht. Ich habe eine Viertelstunde lang auf ihn eingeredet. Aber er hat so getan, als sei er nicht da oder tot. Und als ich dann das Knacken gehört habe …«
    »Wie oft haben Sie zugeschlagen?«
    »Ich hab’s nicht gezählt.«
    »Nun, das wird die Autopsie ergeben. Und als Brown tot war, was haben Sie da mit dem Koffer gemacht?«
    »Ich bin zuerst nach Hause gegangen.«
    »Um die Blutflecken zu entfernen?«
    »Aber nein! Ich bin nach Hause, weil ich eben nach Hause wollte. Ich habe gegessen und bin dann weggegangen.«
    »Sie geben also zu, hinterher gegessen zu haben?«
    »Jawohl! Und sogar Browns Wurst!« schnaubte Maloin herausfordernd. »Sind Sie jetzt zufrieden?«
    »Sie haben ihn also umgebracht, um das Geld zu behalten?«
    Maloin würdigte ihn keiner Antwort mehr. Er hatte die Zähne aufeinandergepreßt und blickte böse und verstockt zu Boden. Der Sonderkommissar musterte ihn einen Augenblick mit zusammengekniffenen Augen. Dann griff er zum Hörer.
    »Verbinden Sie mich mit dem Gericht, Mademoiselle. Hallo? … Den Staatsanwalt bitte … Sind Sie’s, Herr Staatsanwalt? … Hier Janet … Sie erinnern sich doch, daß ich Ihnen vorgestern von einem größeren Geldbetrag berichtete, der einem gewissen Mitchel in London gestohlen wurde? … Ich habe nun hier im Büro den Mann, der das Geld hatte … Wie bitte? Nein, er ist Franzose. Ein Eisenbahner. Heute früh hat er außerdem diesen Brown umgebracht …«
    Warum mußte er beim Sprechen eigentlich immer mit den Lidern flattern?
    »Sehr gut! Ich komme. Wir können gleich nach dem Mittagessen den Lokaltermin machen.«
    Die Marmoruhr auf dem Kamin zeigte bereits halb zwölf. Ernest war sicher schon auf dem Heimweg von der Schule und ging mit dem Jungen der Bernards von nebenan den Weg zur Steilküste hinauf.
    »Hallo? … Das Kommissariat bitte … Janet am Apparat. Schicken Sie mir bitte mal zwei Mann rüber. Sie sollen auf einen Typ aufpassen, der gerade bei mir abgeliefert worden ist.«
    Maloin war nicht abgeliefert worden. Warum diese Lüge? Und warum wurde er als »Typ« bezeichnet?
    »Und was Sie betrifft, mein Freund …« begann der Sonderkommissar und stand auf.
    Er war erstaunt und verwirrt, als er Maloins Blick begegnete, einem Blick voller Ernst und Tiefe, der von weit oben kam und den kleinen Mann mit den Lackschuhen abzuschätzen schien.
    »… was Sie betrifft«, sagte er deshalb viel schneller, »so schreibt das Gesetz vor, daß Sie zu dem für heute nachmittag festgesetzten Lokaltermin in Begleitung eines Anwalts erscheinen. Haben Sie da eine bestimmte Vorstellung?«
    Was denn eigentlich noch? Maloin zuckte die Achseln und dachte fast wehmütig an den Gang zur Hütte, den sie heute früh zu dritt gemacht hatten. Wieviel einfacher und würdiger war das doch gewesen!
    »Haben Sie Ihre Familie benachrichtigt?«
    »Meinen Sie vielleicht, ich habe sie zu Ihrem Termin da eingeladen?« gab er zurück und war erstaunt über seine eigene Kühnheit.
    Für solch dummes Gerede hatte er jetzt kein Verständnis. Er hatte vielmehr ein Bedürfnis nach innerer Einkehr, nach Frieden. In eine Zelle gebracht und in Ruhe gelassen zu werden, bis sie über sein Schicksal entschieden hatten, das hätte er sich gewünscht.
    »Ihre Redensarten werden Ihnen noch vergehen!«
    Maloin lächelte, und dieses Lächeln war wie ein Hängeschloß, mit dem er sich innerlich verbarrikadierte.
    Er hatte begriffen. Er war abgestempelt. Von nun an würde er nicht mehr versuchen, sich den
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