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Der Mann aus London

Der Mann aus London

Titel: Der Mann aus London
Autoren: Georges Simenon
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Rücken verschränkt. Der Pelz lag wie ein Tier ausgestreckt auf dem Tisch, gleich neben den schmutzigen Tellern und dem blauen Mantel mit der gummierten Innenseite.
    »Ach ja … Onkel Victor hat noch gesagt, daß solche Mäntel ungesund sind. Weil sie nicht luftdurchlässig sind.«
    Die Hitze machte ihn benommen. Eine große Müdigkeit überkam ihn, aber er gab sich noch rechtzeitig einen Ruck.
    »Gib mir meine Mütze … Nein, nicht die neue. Die alte tut’s noch.«
    Er blieb an der Treppe stehen. Er hörte, wie seine Frau oben die Zimmer ausfegte und machte Anstalten hinaufzugehen. Aber dann überlegte er es sich.
    »Salü, Jeanne!« rief er hinauf.
    »Legst du dich nicht hin?«
    »Nein, nicht jetzt.«
    »Wenn du beim Metzger vorbeikommst, sag ihm, daß …«
    »Nicht nötig! Ich hab schon Wurst mitgebracht.«
    Er wandte sich seiner Tochter zu und küßte sie wie immer ein wenig verstohlen zwischen Wange und Haaransatz.
    »Bis gleich«, sagte sie.
    Er wandte sich ohne ein weiteres Wort zum Ausgang, schritt über die steinerne Schwelle und machte die Tür hinter sich zu.

10
    Es war zwanzig vor zehn. Germain hatte die Falltür zum Keller geöffnet und war dabei, die Bestände an der Bar aufzufüllen.
    Madame Dupré saß am Schreibtisch und gab telefonisch ihre Bestellungen auf.
    »Siebzehn Kalbsschnitzel, ja. Aber nicht zu dick …«
    Sie behielt beim Sprechen laufend die Uhr im Auge, denn Inspektor Molisson hatte darum gebeten, um zehn Uhr geweckt zu werden. Im ersten Stock oben hörte man den alten Mitchel im Badezimmer seine Morgengymnastik machen.
    Eva Mitchel war bereits heruntergekommen. Sie trug ein helles, rotgeblümtes Kleid und war wie immer grußlos und ohne einen Blick nach rechts oder links zu werfen, an Madame Dupré vorbeigegangen. Am Hotelausgang war sie eine Weile unter der Tür stehengeblieben und dann, ohne Mantel und mit wehendem Haar, zu der Gestalt hinübergegangen, die mit aufgestützten Armen an der Brüstung der Strandpromenade lehnte.
    Es war klar und kalt. Der blaue Himmel und das geblümte Kleid ließen an einen Sommertag denken.
    Die Gestalt am Geländer war die kleine Madame Brown, die stumpf aufs Meer hinaus starrte. Sie fuhr zusammen, als sie die Stimme hinter sich hörte.
    »Haben Sie Seezunge heute morgen?« fragte unterdessen Madame Dupré am Telefon.
    Und ihr Blick wanderte von der Uhr zur Strandpromenade hinüber. Von hier aus waren Madame Brown und Mademoiselle Mitchel eine schwarze und eine weiße Gestalt, und hinter diesen beiden Gestalten glitt ein braunes Segel vorüber.
    »Ach, da fällt mir noch etwas ein«, fuhr Madame Dupré fort. »Sie können mir noch zwei Dutzend Jakobsmuscheln dazutun. Wieviel kosten die im Augenblick?«
    All das hinderte sie nicht daran, sich zu fragen:
    »Was kann sie denn schon wieder von ihr wollen?«
    Eva Mitchel redete tatsächlich heftig auf die andere ein und hatte sie offenbar dazu gebracht, wieder ins Hotel zurückzukehren.
    »Hallo? … Nein, danke, das ist zu teuer. Dann also nur die Seezunge!«
    Die beiden Frauen waren aus dem strahlend hellen Morgenlicht in die düstere Halle getreten und hatten sich jetzt im Halbdunkel des Salons niedergelassen. Die ganze Zeit über hatte Mademoiselle Mitchel ihren Redeschwall nicht unterbrochen, und die kleine Madame Brown hatte ihr ab und zu einen fragenden und ängstlichen Blick zugeworfen und ein paar Worte dahergestottert. Man brauchte kein Englisch zu verstehen, um den Sinn ihrer Worte zu erraten:
    »Aber was soll ich bloß tun?«
    Eva Mitchel jedoch achtete gar nicht darauf und redete pausenlos teils im Befehlston, teils mit drohendem Unterton auf die andere ein.
    »Verzeihung … Kann ich Inspektor Molisson sprechen?«
    Madame Dupré hatte den Fremden, der ein billiges Köfferchen in der Hand hielt, gar nicht hereinkommen sehen. Sie warf einen Blick zur Uhr.
    »In zehn Minuten wird er geweckt«, antwortete sie. »Wen soll ich ihm melden?«
    »Ach, das tut nichts zur Sache.«
    Maloin hatte es nicht eilig. In der Halle gab es Sessel mit Plüschbezug und Korbsessel. Maloin, der es gewohnt war, mit dem Einfacheren vorlieb zu nehmen, setzte sich in einen Korbsessel. Er wagte nicht, die Beine übereinanderzuschlagen und hielt steif die Mütze auf den Knien, nachdem er das Köfferchen auf dem Boden abgestellt hatte.
    Eine Zeitlang bemerkte er nicht, was im Salon vor sich ging, obwohl die Glaswand direkt in seiner Blickrichtung lag. Aber dann wurde er auf Eva aufmerksam, die suchend hin und her
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