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Der Mann auf dem Balkon

Der Mann auf dem Balkon

Titel: Der Mann auf dem Balkon
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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aus dem Handgelenk nicht sagen. Er wußte im voraus, was ihnen an Arbeit und Scheußlichkeiten alles noch bevorstand.
    Er dachte daran, daß die Kriminalität in der Gesellschaft rapide zunahm, was trotz allem ein Produkt ebendieser Gesellschaft und all der Menschen sein mußte, die in ihr lebten und an ihrer Entwicklung teilhatten. Er dachte an die gute technische und personelle Ausrüstung, mit der die Polizei allein in den letzten Jahren ausgestattet worden war. Trotzdem schienen die Verbrecher ständig einen Schritt voraus zu sein. Er dachte an die neue Ermittlungstechnik und die Computer, die das Ergreifen ebendieses Verbrechers vielleicht schon innerhalb weniger Stunden ermöglichen würden. Und er dachte auch daran, wie wenig Trost dieser außerordentlich hohe Stand der Technik zum Beispiel der Frau bieten konnte, die er gerade verlassen hatte. Oder ihm selbst. Oder den Männern, die nun mit ernsten Gesichtern um den kleinen Körper im Gebüsch zwischen der Hügelkuppe und dem roten Holzzaun versammelt waren.
    Er hatte die Leiche nur flüchtig und auch nur aus einiger Entfernung gesehen. Aber am liebsten würde er sich einen zweiten Anblick ersparen. Aber das war unmöglich, wie er genau wußte. Das Bild des Kindes in rotem Rock und gestreiftem Pulli war mit all den anderen, von denen er ebenfalls nicht loskam, in sein Bewußtsein eingeätzt.
    Er dachte an die Bäume auf der Anhöhe und an sein eigenes Kind, das noch nicht geboren war, und wie dieses Kind wohl in neun Jahren aussehen würde. Dachte daran, welche Angst und Abscheu dieses Verbrechen in der Bevölkerung auslösen würde. Daran, wie die Titelseiten der Abendzeitungen aussehen würden.
    Das ganze Gebiet um den düsteren, festungsähnlichen Wasserturm und den steilen Abhang bis hinunter an die Stufen zur Ingemarsgatan war nun abgesperrt. Er ging an den Autos vorbei, blieb an der Absperrung stehen und ließ den Blick über den leeren Spielplatz mit seinen Sandkisten, Schaukeln und Klettergerüsten wandern.
    Die Gewißheit, daß so etwas schon früher geschehen war und mit Sicherheit immer wieder geschehen würde, drückte ihn fast zu Boden. Sie hatten Computer und mehr Leute und mehr Autos bekommen. Seit dem letzten Vorfall dieser Art war die Beleuchtung im Park verbessert und die meisten Büsche gerodet worden. Beim nächsten Mal würden sie noch mehr Autos und Computer und noch weniger Büsche haben. Kollberg dachte an all dies und trocknete sich die Stirn. Das Taschentuch war bereits naß.
    Die Journalisten und Fotografen waren schon da, zum Glück aber hatten sich noch nicht allzu viele Neugierige eingefunden. Die Journalisten und Fotografen waren merkwürdigerweise im Laufe der Jahre besser geworden, was wenigstens zum Teil das Verdienst der Polizei war. Die Neugierigen würden sich niemals bessern.
    Obwohl sich verhältnismäßig viele Menschen in der Umgebung des Wasserturms befanden, war es merkwürdig still. Aus der Ferne, vielleicht von der Städtischen Badeanstalt oder vom Spielplatz am Sveavägen her, war fröhliches Rufen und Kinderlachen zu hören.
    Kollberg stand dicht an der Absperrung. Er sagte nichts, und niemand sprach ihn an. Er wußte, daß die Mordkommission und das Dezernat für Gewaltverbrechen alarmiert worden waren, die Fahndungsabteilung sozusagen auf dem Sprung stand und die Spurensicherung am Tatort lief, daß die »Sitte« eingeschaltet worden war, die Lochkartenstelle auf Material wartete, daß die »Klinkenputzer« und der Gerichtsmediziner bereitstanden, daß jeder einzelne Streifenwagen auf Einsatz wartete und daß an keinem Hilfsmittel gespart werden würde, auch nicht an seiner eigenen Kraft.
    Und ein Gedanke ging ihm nicht aus dem Kopf: Es war Sommer. Die Menschen badeten, Touristen irrten mit Stadtplänen in den Händen herum. Und im Gebüsch zwischen der Anhöhe und dem roten Bretterzaun lag ein totes Kind. Es war entsetzlich, und das schlimmste war: Es konnte noch entsetzlicher werden.
    Noch ein Auto, vielleicht das neunte oder zehnte, brummte von der Stefanskyrkan den Hügel hinauf und hielt an. Ohne direkt hinzuschauen, sah er Gunvald Larsson herausklettern und auf sich zukommen.
    »Na, wie geht's hier?«
    »Weiß nicht.«
    »Der Regen. Es hat die ganze Nacht über geschüttet. Vermutlich…« Gunvald Larsson unterbrach sich ausnahmsweise einmal selbst, schwieg einen Augenblick und sagte dann: »Wenn sie Fußabdrücke sichern, stammen die vermutlich von mir.
    Ich war gestern abend hier, kurz nach
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