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Der Maler Gottes

Der Maler Gottes

Titel: Der Maler Gottes
Autoren: Ines Thorn
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zeichnet ein Porträt von sich, sucht in ihm nach sich selbst.
    Ein Jahr später, 1530, malt er seinen letzten Altar. Es ist die Aschaffenburger Beweinung, die, zusammen mit der Predella, in der Stiftskirche von Aschaffenburg zu einem Altar für Dietrich von Erbach (gest. 1459), Erzbischof von Aschaffenburg, gehören wird.
    Eine Krankheit befällt ihn. Auch das Kind wird angesteckt, stirbt daran. Matthias’ Erschöpfung und seine Müdigkeit sind so groß, dass er dem Mädchen am liebsten nachfolgen würde. Doch noch kann er die Welt nicht verlassen. Ein Bild, ein letztes Bild muss er noch malen. Bis jetzt hat er keine Vorstellung davon in seinem Kopf. Er läuft durch die Gegend, versucht das, was in ihm arbeitet und lebt, in Farben und Formen zu bringen. Er ringt mit sich, ringt um das Bild, das seine Altersbotschaft enthalten soll. Und am Abend des 23. Februar 1532, am Vorabend seines 51. Geburtstages, ist es so weit. Matthias aus Grünberg-Neustadt mischt die Farben für sein letztes Bild.
    E PILOG
    Steif und kalt fühlen sich seine Hände an. So steif und kalt wie die seiner Tochter Magdalena, die vor wenigen Tagen gestorben ist. Gestorben am Bluthusten. Noch immer liegt sie in der Seitenkapelle der Burg, weil der Boden zu fest gefroren ist, um den jungen Körper in sich aufzunehmen.
    Matthias sitzt seit Stunden neben der aufgebahrten Leiche und erinnert sich an die Worte des Geistlichen, der Magdalena ausgesegnet hat.
    »Diejenigen, die Gott liebt, holt er früh zu sich«, hat der Priester gesagt und Matthias auf die Schulter geklopft. Dann ist er schnell gegangen, um das Mittagessen nicht zu verpassen, und hat Matthias allein gelassen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Kinder und Jugendliche sterben. Nicht einmal die Hälfte schafft es, erwachsen zu werden. Und schon gar nicht in einem solchen Winter. Seit Wochen liegt der Odenwald unter einer dichten Schneedecke. Die Seen und Flüsse sind vereist, selbst der Main trägt eine so dicke Eisschicht, dass er mit Fuhrwerken befahren werden kann. Die Vorräte werden allmählich knapp. Täglich erfrieren Menschen und Tiere. Kein Wunder bei diesem Wetter. Kein Wunder zu dieser Zeit, im Jahre 1532. Kein Grund, in Schwermut zu versinken. »Diejenigen, die Gott liebt, lässt er leiden«, murmelt Matthias, der Maler, und wünscht sich in diesem Augenblick mit der ganzen Kraft seiner Gedanken an die Stelle der Tochter. Er hat genug gelitten. Er ist müde, zum Sterben müde und erschöpft. Und er friert. Die Kälte ist ihm in alle Glieder gekrochen. Seine Knochen fühlen sich spröde und zerbrechlich wie Eis an. Wem gilt die Liebe Gottes? Die Liebe, um die er sein ganzes Leben lang gerungen hat und noch immer ringt? Um die er ringt wie Jakob in der Bibel. Wie ist sie, diese Liebe? Und was ist sie wert?
    Ein Bild steigt in seinem Innern auf, und er versucht, es zu verdrängen. Er betrachtet das Gesicht seiner Tochter, das aussieht wie das einer alten Frau. Grau, gequält, schmerzverzerrt, klagend, nicht verstehend. Auch der Tod hat es nicht glätten, nicht besänftigen können. Er sieht die Hände, ineinander gefaltet, die nichts mehr halten.
    Matthias Grünewald steht auf und verlässt die Kapelle. Draußen vor der Tür überfällt ihn der Husten. Seine Brust zieht sich zusammen. Schweißperlen stehen auf seiner Stirn. Er würgt, keucht, muss sich an der Mauer halten, um nicht in die Knie zu sinken. Er spuckt aus und sieht ohne Erschrecken, wie sich sein Blut mit dem weißen Schnee vermischt. Wieder hustet er, wieder spuckt er Blut. Wieder steigt das Bild aus seinem Inneren auf, erst verschwommen, dann klar und immer klarer werdend. Der Maler stöhnt auf und taumelt über den Burghof, der nur vom Mond erhellt ist, in seine Kammer.
    In der gleichen Nacht setzt endlich Tauwetter ein, doch Matthias Grünewald bemerkt nichts davon. Er steht in seiner Kammer in einem Seitengebäude der Burg Fürstenau in Michelstadt-Steinbach und lässt den Pinsel auf einer Lindenholztafel tanzen. Es ist ein wilder Tanz, und das Holzblatt, das im Rhythmus gegen die Steine der Wand schlägt, spielt die Musik dazu.
    Langsam fällt der Mond dem Horizont entgegen, das Talglicht in der Kammer blakt, die vor Stunden noch steif gefrorenen Lumpen vor dem Kammerfenster tauen auf und hängen schwer, doch auch davon bemerkt Matthias Grünewald nichts. Er hat alles vergessen, sogar sich selbst. Wichtig ist nur der Pinsel in seiner Hand, der schneller malt, als der Kopf denken kann, der anders malt, als der
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