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Der Maler Gottes

Der Maler Gottes

Titel: Der Maler Gottes
Autoren: Ines Thorn
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und 1527 hält sich Matthias mehrfach zu Kurmainz-Aschaffenburg auf und verrichtet dort kleinere Arbeiten für den Erzbischof von Mainz, Kardinal Albrecht.
    Das Haus in der Kannengießergasse steht wochenlang leer. Noch immer liegt Anna im Heilig-Geist-Spital. Bestand am Anfang noch eine geringe Hoffnung auf Genesung, so muss sie spätestens jetzt, 1525, aufgegeben werden. Für Anna gibt es keine Hoffnung. Sie ist vom Wahnsinn befallen, erkennt ihren Mann bei den seltenen Besuchen nicht. Matthias’ Zustand verschlimmert sich ebenfalls. Fast beneidet er Anna um ihre Krankheit, die sie davor bewahrt, sich mit der Welt auseinander zu setzen. Immer tiefer gerät Matthias in einen Zustand tiefer Melancholie und Schwermut. Depressionen quälen ihn, die Todessehnsucht ist seine ständige Begleiterin. Einzig Magdalena hält ihn noch am Leben. Ihre Gegenwart, ihre schüchterne Liebe zu dem wortkargen Vater, ihr seltenes Lachen bewirken, dass Matthias am Morgen aufsteht und weiterlebt.
    Seit seinem Aufenthalt in Halle hat er keinen Pinsel mehr zur Hand genommen. In der Kannengießergasse vertrocknen die Farben, die Leinwand wird brüchig. Doch das alles interessiert Matthias nicht. Stundenlang sitzt er in der Werkstatt auf einem Schemel, den Kopf in beide Fäuste gestützt, und stiert blicklos auf den Fußboden. Im Sommer des Jahres 1525 klopft ein Bote an Matthias’ Tür. Er berichtet von den Ereignissen in Würzburg, erzählt von Riemenschneiders Verhaftung, den Folterungen, ja, er will sogar gehört haben, dass man dem Freund die Hände gebrochen habe. Nach Wochen erst sei er aus der Haft entlassen, habe sein Vermögen verloren, wurde aus dem Rat ausgestoßen.
    Matthias hört es – und will es nicht glauben. Der Bote lässt einen aufgewühlten Matthias zurück. Jetzt hält es ihn nicht mehr allein in der Stille seines Hauses. Seit Monaten verlässt er erstmals wieder seine Wohnung, mischt sich unter das Volk, hört in den Gassen und Schenken, was sich im Lande tut. In einem Gasthaus, in dem sich die Maler treffen und in dem auch Hans Fyoll verkehrt, erfährt er vom Schicksal seines Freundes Jörg Ratgeb, der auf dem Markt zu Pforzheim als Aufständischer gevierteilt worden ist.
    Das Schicksal seiner Freunde erschüttert Matthias bis ins Innerste. Er hat nun alles verloren, ganz und gar alles. Es gibt nichts mehr, was ihn noch auf der Erde hält. Noch nicht einmal das Kind gibt ihm Halt. Das Leben des Matthias aus Grünberg hat endgültig jeden Sinn verloren. Kann es sein, dass seine Arbeit, seine Erfahrungen, Gedanken und Gefühle, sein ganzes Dasein umsonst gewesen sind? Was bleibt noch? Wozu hat er gelebt? Auf der Schwelle zwischen Aufgeben und Neuanfang entschließt er sich für den Aufbruch, für den letzten Aufbruch in seinem Leben. Er will Magdalena eine Zukunft geben, will für ihr Auskommen sorgen. Sonst will er nichts mehr.
    Am 2. Mai 1527 verkauft er sein Haus in der Kannengießergasse und verlässt mit seiner Tochter Frankfurt. Er tritt in die Dienste derer von Erbach und bezieht mit Magdalena eine Kammer auf dem Schloss Fürstenau in Michelstadt-Steinbach. Magdalena arbeitet als Kammerjungfer im Schloss.
    Und dort, im Odenwald, sammelt er noch einmal seine letzten Kräfte und findet endlich die Ruhe zum Malen. Überall brodelt es im Land. Die Bauern rüsten zu Aufständen, Martin Luther wird verfolgt. Matthias weiß, dass auch er seinen Beitrag leisten muss. Für die Freunde Tilman Riemenschneider und Jörg Ratgeb, die nun beide zum Schweigen verurteilt sind, muss er den Pinsel wieder in die Hand nehmen. Er muss versuchen, das in seinen Bildern auszudrücken, wofür die beiden gekämpft und gelitten haben. Dafür hat er den Aufbruch noch einmal gewagt. Er muss malen, muss dem Leben wieder etwas abverlangen, nach dem Sinn seines Lebens suchen, den er in den letzten Jahren verloren hatte. Es kann, es darf nicht alles umsonst gewesen sein. Seine Verzweiflung schlägt in Tatendrang um. Eine blinde Malwut erfasst ihn und treibt ihn dazu, mehr und intensiver zu arbeiten als je zuvor.
    Im Jahr 1528 malt er zwei Bilder, die Karlsruher Kreuztragung und die Karlsruher Kreuzigung. Er hat nun selbst Schriften von Luther gelesen und sich darin Anregungen und Gedanken für diese beiden Bilder geholt. Im gleichen Zeitraum entsteht eine Tafel für einen Hausaltar, die Washingtoner Kreuzigung.
    Die Welt, die den Maler umgibt, ändert sich rasend schnell. Nichts ist mehr, wie es einmal war. Ist er noch derselbe? Matthias
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