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Der Maler Gottes

Der Maler Gottes

Titel: Der Maler Gottes
Autoren: Ines Thorn
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Zwiesprache mit Gott, wartet auf eine Antwort von ihm, wartet darauf, dass er seine Gegenwart spüren kann. Doch vergebens. Die Worte verklingen scheinbar ungehört. Als die Dämmerung hereinbricht und das Läuten der Kirchenglocken den Anbruch des neuen Tages verkündet, eilt Matthias zum Spital zum Heiligen Geist. Seine Beine tragen ihn, so schnell es nur geht, doch in seinem Herzen trägt er bereits die Gewissheit, dass er zu spät kommt.
    Der Pfleger sagt kein Wort, legt ihm nur leicht eine Hand auf die Schulter, als Matthias die leere Stelle in der Bettstatt sieht, auf der gestern noch Magdalena gelegen hat. Dann fragt der Pfleger: »Seid Ihr der Maler und Bildschnitzer Matthias aus Grünberg?« Wortlos nickt Matthias. Der Pfleger reicht ihm ein versiegeltes Papier, sagt: »Dies hier hat sie bereits vor Wochen hinterlegt. Nach ihrem Tode sollte ich Euch suchen und das Schreiben übergeben. Nur Euch, keinem anderen. Gott hab sie selig.«
    Noch immer unfähig, ein Wort zu finden, nimmt Matthias den Brief, läuft durch die Gassen zurück nach Hause, läuft, als wäre er blind und taub, stößt auf seinem Weg gegen Passanten, die ihm empört nachschauen, doch er sieht nichts, hört nichts. Erst als er in seinem Haus ist, öffnet er den Brief und erkennt darin Magdalenas Handschrift, einen Brief, den sie Wochen vor ihrem Tod, Wochen vor ihrem Wiedersehen mit ihm geschrieben hat, in der sicheren Hoffnung, dass dieses Schreiben, auf welchem Weg auch immer, ihn erreichen wird. Und diese Tatsache, in der noch einmal das ganze Ausmaß ihrer Liebe zu ihm ausgedrückt wird, schmerzt ihn beinahe mehr als ihr Tod. Gleichzeitig wird ihm durch diesen Brief erst unweigerlich bewusst, dass er Magdalena nun verloren hat – und zwar für immer. »Lieber Matthias!«, schreibt sie.
    „Wenn du diesen Brief in den Händen hältst, werde ich tot sein. Du sollst wissen, dass ich als glücklicher Mensch gestorben bin. Glücklich deshalb, weil ich dich kennen und lieben durfte. Und glücklich besonders, weil ich in deinen Armen erkannt habe, dass auch du mich liebst. Unsere Liebe ist das Wertvollste in meinem Leben, ist mein größtes Glück, eine Gnade Gottes. Das, was zwischen uns besteht, ist so mächtig, dass es uns zeichnet wie eine Narbe. So tief zu lieben, selbst wenn der Mensch, der uns so liebt, den wir so lieben, gerade nicht oder nie mehr da ist, wird uns zeit unseres Lebens stärker machen.
    Unsere Liebe hat Früchte getragen. Ja, Matthias, du hast, wir haben eine Tochter! Sie heißt Margarete und lebt seit meiner Einweisung in das Heilig-Geist-Spital im Haus der Amme Christina in der Eulengasse.
    Ich bitte dich, Matthias, kümmere dich ein wenig um sie.
    Gott segne, bewahre und schütze dich, Geliebter.
    Deine Magdalena.“
    Matthias lässt das Blatt sinken, fällt auf einen Schemel und starrt vor sich hin. »Ich bin Vater. Ich habe eine Tochter.« Immer wieder flüstert er diese Worte vor sich hin wie eine Beschwörung. Plötzlich lacht er auf. »Magdalena wird weiterleben. Nein, sie ist nicht tot. Wir haben eine Tochter, in der sie weiterlebt.«
    Hastig springt er auf und macht sich auf den Weg in die Eulengasse. Er zeigt der Amme Magdalenas Schreiben. Christina nickt und führt den Maler in eine Kammer, in der ein Mädchen am Spinnrocken sitzt. Sie ist so vertieft in ihre Arbeit, dass sie die Anwesenheit ihrer Ziehmutter und des Fremden nicht bemerkt. Ungestört betrachtet Matthias seine Tochter. Die Trauer um Magdalena wühlt wie ein bissiges Tier in seinen Eingeweiden, als er die Ähnlichkeit zwischen Magdalena und Margarete erkennt. Ohne es zu wollen und ohne es zu merken, rinnen leise Tränen über seine Wangen.
    Jetzt dreht sich das Mädchen um, sieht fragend von ihrer Ziehmutter zu dem Fremden und fragt: »Wer ist der Mann? Was will er hier?«
    Die Amme legt dem Mädchen eine Hand auf die Schulter, glättet mit der anderen das lange, seidenweiche, blonde Haar. »Er ist dein Vater, mein Kind.«
    Nur langsam gewöhnt sich Margarete daran, dass ihr Vater, in dessen Haus sie nun lebt, sie Magdalena nennt. Er hat ihr oft erklärt, dass sie ihn in allem an ihre Mutter erinnert und dass er sie deshalb mit deren Namen anspricht. Dem Mädchen ist es recht, denn es hat nur gute Erinnerungen an die Mutter. Die kleine Magdalena besorgt den Haushalt in der Kannengießergasse, so gut sie es versteht. Manchmal geht sie ihrem Vater sogar in der Werkstatt zur Hand. Oft begleitet sie ihn auf seinen Reisen.
    Zwischen den Jahren 1523
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