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Der Maler Gottes

Der Maler Gottes

Titel: Der Maler Gottes
Autoren: Ines Thorn
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sie. Hans schüttelt den Kopf.
    »Lasst den Johannes zur Kirche laufen. Er soll sagen, es eilt nicht.«
    Hans nickt gehorsam und stößt einen Seufzer aus. Der Priester braucht sich nicht zu eilen. Das heißt, Roswitha und das Neugeborene werden leben. Das Efeu-Orakel hat sich getäuscht. Oder einen anderen gemeint. Jemanden, der nichts mit dem Maler und Bildschnitzer Hans und seiner Familie zu tun hat. Denn hier, in diesem Haus in Grünberg-Neustadt, scheint alles in bester Ordnung. Gepriesen sei Gott.
    »Und Ihr, steht nicht herum«, unterbricht die Hebamme seine glücklichen Gedanken.
    »Kommt herauf und schaut Euch Euren Sohn an. Aber erst holt die Nachbarin. Sie soll helfen, das Taufmahl zu richten.«
    Die Hebamme geht zurück in das Wehzimmer und lässt Hans allein.
    Erleichtert und dankbar, dass ihm ein Sohn geboren ist und die Frau noch lebt, faltet er die Hände und betet inbrünstig: »Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist. Wie am Anfang, so auch jetzt und alle Zeit in Ewigkeit. Amen.«
    Er ruft nach Johannes, dem Ältesten, und schickt ihn mit dem Auftrag der Hebamme zur Kirche. Dann macht er sich auf den Weg zur Nachbarin. An die durchweichten Efeublätter denkt er nicht mehr.
    Und später, als er den Sohn im Arm hält, hat er auch den Strick des Gehängten vergessen.
    Am Nachmittag des 24. Februar 1481 tauft der Priester den neugeborenen Sohn des Malers und Bildschnitzers Hans und seines Eheweibes Roswitha in Grünberg-Neustadt auf den Namen Matthias. Zum Taufpaten wird der Papiermacher Georg bestellt, dessen Sohn Markus das Patenkind des Malers Hans ist.
2. K APITEL
    Von St. Paul ist das Mittagsgeläut noch zu hören, als Matthias mit seinem Vater Hans das Haus verlässt. Sie sind auf dem Weg zum Papiermacher Georg, dem Patenonkel von Matthias. Der Vater braucht Papier, um gemeinsam mit Johannes, der inzwischen als Geselle in der Werkstatt des Vaters arbeitet, Entwürfe für eine hölzerne Statue der heiligen Elisabeth zu fertigen. Der Auftrag kommt aus dem Antoniterkloster. Der Präzeptor Jakob Ebelson hat beschlossen, das Elisabethenhospital, ein Feldsiechenhaus vor den Toren der Stadt, neu herzurichten. Die Bauarbeiten gehen zügig voran, und das Korn auf den Feldern steht schon vor der Reife. Am Tag der heiligen Elisabeth, am 19. November, soll mit der Enthüllung und Segnung der Statue das neue Hospital eröffnet werden. Der Vater und Johannes müssen sich eilen, wenn sie bis dahin fertig werden wollen.
    Matthias und sein Vater bahnen sich mühsam einen Weg durch die Straßen. Händler, die mit Karren voller Feldfrüchte zum Marktplatz ziehen, verstopfen die engen Gassen, in denen es nach Unrat, Kot und verwestem Fleisch riecht. Eben geht wieder ein Fenster auf, und schwungvoll schüttet eine Hausfrau einen Eimer stinkendes Spülwasser auf die Straße.
    Am Diebesturm biegen sie nach Osten ab und laufen über den Markt, auf dem trotz der frühen Stunde schon reichlich Betrieb ist. Ein Verkaufsstand reiht sich an den anderen. Es riecht nach Fisch, nach frischem Brot und nach gegerbtem Leder. Handwerker, Hausfrauen und Bauern aus den umliegenden Weilern drängen sich an den Ständen, Lehrjungen versuchen mit lautstarkem Gebrüll, Kundschaft anzulocken, Beutelschneider und Straßenjungen treiben ihr Unwesen. Eine größere Menschenmenge hat sich in einer Ecke des Marktes versammelt, um den Bütteln des Schultheiß bei der Arbeit zuzusehen. Gerade werden zwei Taschendiebe aus dem Diebesturm zur Richtstatt gebracht. Einer wird an einen Pfahl gebunden, zwei Büttel halten den anderen fest, während ein Dritter ihm mit einer glühenden Zange ein Mal auf die Wange brennt. Eine junge Frau steht am Pranger, die Röcke über dem Kopf zusammengebunden, und muss sich unter dem lauten Gelächter der Menge vom Gerichtsdiener den prallen, weißen Hintern auspeitschen lassen als Strafe für unzüchtige Kleidung. Daneben steckt ein dicker Mann bis zur roten Knollennase in einem Fass voller Fäkalien, und die Zuschauer bewerfen ihn mit faulem Obst und Pferdeäpfeln. Es ist ein Bäcker aus der Altstadt. Er soll, so hört Matthias zwei Marktweiber sagen, zu viel Wasser in die Brote gepanscht haben, um das Gewicht zu erhöhen.
    Matthias bleibt an einem Stand mit Messern und Klingen stehen und betrachtet die Auslage.
    »Vater, ich bitte Euch, kauft mir ein Messer«, bettelt der 14-jährige.
    »Zum Kuckuck, nein!«, bestimmt der Vater. »Was willst du damit? Geistlicher sollst du werden, nicht
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