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Der Maler Gottes

Der Maler Gottes

Titel: Der Maler Gottes
Autoren: Ines Thorn
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Jahr«, klagt der, der die Wirtstochter auf dem Schoß hatte. Nun klingt seine Stimme ernst und besorgt.
    »Gott schenke den Gäulen unserer Herren ein langes Leben, sonst reiten sie eines Tages auf uns«, sagt ein anderer.
    Der Vater steht auf, legt ein Geldstück auf den Tisch. »Auch den Handwerkern geht es nicht gut in dieser Zeit. Die Herren sind schnell mit den Aufträgen, aber langsam mit dem Zahlen. Wird Zeit, dass sich was ändert.«
    Doch es hat sich auch drei Monate später nichts geändert. Zu Erntedank hört Matthias die Bauern wieder klagen. Die Ernte ist noch schlechter als erwartet, doch die Herren nehmen keine Rücksicht auf den Hunger der Bauern. Die kümmern sich nur um ihre üppigen Feste. Auch der Vater klagt. Die Mutter braucht einen neuen Umhang für den Winter.
    »Wo soll ich den hernehmen?«, fragt er. »Vom Kloster habe ich bisher keinen roten Heller gesehen. Trotzdem kommen sie und schauen, wie weit ich mit der Statue bin. Es geht ihnen kaum schnell genug. Froh können wir sein, wenn sie uns überhaupt etwas geben. ›Euer Sohn geht in unsere Schule‹, sagen sie. ›Ist das nicht genug, was wir für Euch tun?‹ Was soll ich da erwidern?« Die Mutter seufzt, streicht dem Jungen hastig über den Kopf. »Lass gut sein. Meinen Umhang werde ich flicken. Matthias ist bei den Antonitern gut aufgehoben. Wo soll sonst einer wie er hin?«
    Matthias steht dabei. Einer wie ich, überlegt er. Was ist an mir anders? Er denkt an die Klosterschule der Antoniter, die er seit dem Sommer besucht. Vorher hatte er in der Dorfschule Lesen, Schreiben und viele Gebete gelernt. Die anderen Jungen aus der Schule sind anschließend zu einem Meister in die Lehre gekommen. Nur ihn hatte keiner haben wollen. Zu klein, zu schwächlich sei er, hatte es geheißen, doch Matthias wusste, dass das nicht stimmt. Er war nicht kleiner als die anderen, auch nicht schwächer, trotz der hängenden Schultern und des schmalen Gesichtes mit der übergroßen, leicht gekrümmten Nase, den schwarzen bohrenden Augen unter ausgeprägten dunklen Brauen, dem spitzen, nach vorn geschobenen Kinn und den schmalen Lippen. Hässlicher vielleicht, doch keinesfalls weniger stark. Und eines Tages hatte er gehört, wie die Magd vor der Haustür mit anderen Mägden über ihn sprach. Er habe den bösen Blick, hatte sie gesagt und flüsternd hinzugesetzt, was in der Nacht seiner Geburt geschehen war. Von durchweichten Efeublättern hatte sie gesprochen und von einem Strick, den er um den Hals gehabt habe wie ein Gehängter. Und im Sommer soll er Ursula, die Wirtstochter, verhext haben. Angestiert habe er sie, und am nächsten Tag sei ein Ausschlag gekommen, der ihren ganzen Körper entstellt hatte. Vom Teufel besessen sei er, besessen von der ersten Stunde seiner Geburt an. Und an das Gespräch zwischen dem Präzeptor Ebelson und dem Vater erinnert er sich.
    »Er ist ein lieber Junge, doch er hat eine schwache Vernunft«, hatte der Vater gesagt.
    Und der Präzeptor hatte genickt. »Sein Verstand ist verquer. Manchmal scheint es mir gar, als zweifle er an der Schönheit und Erhabenheit der Schöpfung, als vermute er, dass es noch Größeres, Erhabeneres dahinter gibt. Etwas, das für uns andere nicht sichtbar ist. Der Teufel muss ihm die Zweifel und den Hochmut eingegeben haben.«
    Der Präzeptor hatte geseufzt, sich sorgenvoll übers Kinn gestrichen und den Vater prüfend angesehen. Dann hatte er gesagt: »Der Geist des Knaben muss gebrochen werden. Sorgt Euch nicht, Meister Hans, wir werden seiner Gedanken schon Herr werden.«
    »Peitscht ihn kräftig durch. Mir ist lieber, ihn ehrlich zu beerdigen, als unehrlich verloren zu sehen.« Seitdem ist Matthias in der Klosterschule.
    Neben dem Schreiben und Rechnen erhält er täglich sechs Stunden Unterricht im Katechismus, in der Grammatik und Stillehre, in Latein und Chorgesang. Und immer wieder kriegt er die Peitsche zu spüren. Sein Rücken ist voller Striemen, die nicht verheilen können, weil täglich neue dazukommen. Erst gestern hat er wieder Schläge bekommen und weiß nicht, wofür.
    Vom lieben Jesuskind hatte der Mönch erzählt, von einem milden, sanftmütigen Jesus, der die Kinder auf seinem Schoß sitzen lässt und als Gefangener vor Königen steht, sich wüste Beschimpfungen anhört, ohne ein Wort zu erwidern. Barmherzig, gnädig, gütig, nachsichtig, alles verstehend, alles verzeihend.
    »Liebt eure Feinde, tut wohl denen, die euch hassen, segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die
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