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Der Maler Gottes

Der Maler Gottes

Titel: Der Maler Gottes
Autoren: Ines Thorn
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seinem Hauptauftraggeber, wegen einer schlecht ausgeführten Arbeit in Ungnade zu fallen. Die gesamte Existenz der Familie hängt derzeit von der Statue der heiligen Elisabeth ab, die Johannes so verdorben hat.
    Es ist schon spät, beinahe Mitternacht, als Matthias sich heimlich aus der Schlafkammer im ersten Stock, die er mit seinem Bruder teilt, nach unten in die Werkstatt schleicht. Alle im Haus schlafen schon. Aus der Kammer der Eltern dringen die regelmäßigen Schnarchtöne des Vaters und das gleichmäßige Atmen der Mutter. Matthias schleicht an der Magd vorbei, die in der Küche neben der Feuerstelle auf einer Bank liegt. Vorsichtig öffnet er die Werkstatttür. Er nimmt die Statue der heiligen Elisabeth und das Schnitzmesser des Vaters. Der Mond scheint so hell durch das Werkstattfenster, dass Matthias sich einen Schemel dorthin rückt, um im Mondlicht zu arbeiten. Ganz behutsam umfasst er die Statue mit seinen Händen und schließt die Augen. Er fühlt das Holz, fährt mit den Fingerspitzen an der Maserung entlang, erforscht den Holzkörper, der für ihn mit Leben erfüllt ist. Matthias kann das wahre Wesen der heiligen Elisabeth, das noch unbehauen im Holz schlummert, fühlen. Er sitzt allein auf dem Schemel im Mondlicht, hält die Augen geschlossen und erspürt mit seinen Fingern bereits jetzt die fertige Statue. Ganz versunken sitzt er da, ganz weltabgewandt, alle seine Gedanken und Sinne auf das Holzstück in seiner Hand konzentriert. Er hört nicht das Mitternachtsläuten, und er hört auch nicht, dass sich die Tür zur Werkstatt leise öffnet. Er sieht seinen Vater nicht, der ihn durch den geöffneten Türspalt einen Moment betrachtet und dann leise, ganz leise, die Tür wieder schließt und zurück nach oben in die Schlafkammer geht. Lange sitzt Matthias so. Erst als er jedes noch so kleine Stück der Figur fertig in seinem Inneren sieht, es in seinen Fingern spürt, öffnet er die Augen. Er nimmt das Messer in die Hand und beginnt zu arbeiten. Behutsam setzt er das Werkzeug an und formt die Gewandfalten mit ruhigen Bewegungen aus dem Holz. Als er damit fertig ist, zieht die Dämmerung bereits am Himmel auf. Er glättet die Falten, arbeitet bis zum allerersten Hahnenschrei. Dann erst stellt er die Statue zurück an ihren Platz und schleicht nach oben in die Kammer, in der Johannes sich unruhig im Schlaf hin-und herwirft.
    Am nächsten Tag schläft Matthias in der Schule ein und bekommt dafür wieder einmal die Peitsche zu spüren. Gelassen nimmt er die Strafe hin, doch als der Mönch die Peitsche zur Seite legt und mit einem Holzscheit auf seine Hände zielt, bricht er in Tränen aus. »Nein!«, schreit er mit vor Verzweiflung schriller Stimme. »Nicht auf die Hände!«
    Der Mönch hält verblüfft inne. Matthias reißt sich den derben Kittel vom Leib, bietet dem Mönch seine Brust, bittet kniefällig, ihn dorthin zu schlagen und die Hände zu verschonen. Tränenüberströmt rutscht er auf dem harten Steinfußboden, umklammert die Füße des Mönches, beschwört, fleht den Mann geradezu um Schläge auf seinen mageren Brustkorb an.
    Ist es die Inbrunst der Bitte, die den Mönch dazu bewegt, ein Einsehen zu haben? Er legt das Holzscheit zur Seite und greift erneut nach der Peitsche. Mit beinahe glücklichem Gesicht empfängt Matthias die Schläge. Er verzieht noch nicht einmal den Mund, als die Peitsche blutige Wunden über seinen Oberkörper zieht und die Haut auf seiner Brust reißt.
    Als er am Nachmittag nach Hause in die Werkstatt kommt, fällt sein erster Blick auf die Statue, die unberührt dort steht, wo er sie im Morgengrauen hingestellt hat. Matthias lächelt, als er den Faltenwurf betrachtet, und wendet sich ab. Sein Blick kreuzt sich mit dem seines Vaters, der ihn anschaut, als habe er ihn vorher noch nie gesehen. Und zum ersten Mal befiehlt er, der seinen Sohn lieber totgeschlagen als verloren sehen wollte, seiner Frau, dem Jungen die Wunden mit Kamille zu behandeln, und schickt ihn zum Ausruhen hinauf in seine Kammer. Wie ein Stein im Fluss versinkt Matthias in traumlosen Schlaf. Doch in der Nacht, als die anderen längst zur Ruhe gegangen sind, schleicht er sich wieder hinunter in die Werkstatt. Und wieder rückt er einen Schemel ins Mondlicht, befühlt die Statue mit geschlossenen Augen und macht sich daran, die zarten Gesichtszüge der heiligen Elisabeth sacht aus dem Holz zu arbeiten.
    Noch viele Nächte sitzt Matthias in der Werkstatt. Der Vater verliert kein Wort über die Statue,
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