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Der Maler Gottes

Der Maler Gottes

Titel: Der Maler Gottes
Autoren: Ines Thorn
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schaut beim Gottesdienst auf die Lippen des Priesters, wartet darauf, von den Worten berührt zu werden, doch seine Seele bleibt stumm. Ist er wirklich ein Kind des Teufels? Nicht fähig, den Herrn zu spüren? Nicht fähig, in den Zeremonien, dem Weihrauch, den Kerzen, den Gesängen den Geist Jesu zu empfinden, so wie die anderen?
    Matthias hat sich die Begegnung mit Jesus anders vorgestellt, nein, er weiß, dass sie anders ist. Größer, strahlender, gewaltiger. Zu klein, zu hässlich, zu schäbig kommen ihm die Anstrengungen der Grünberger vor, zu banal ihre Worte, zu gewöhnlich ihre Taten, zu gering für Jesus. Ist er der Einzige, der so empfindet? Ist er der Einzige, der die Hässlichkeit der Kapelle, die Gewöhnlichkeit der Anbetung, die Banalität der Rituale sieht? Gelingt es ihm deshalb nicht, Jesus zu finden? Weil er sich nicht zufrieden geben kann mit dem, was seinen Alltag bestimmt, und eine Sehnsucht im Herzen trägt nach etwas, das schöner, gewaltiger ist. Denn die Gegenwart erscheint ihm noch im hellsten Sonnenlicht grau und hässlich.
    Zwei Jahre ist er nun schon bei den Antonitern und bereitet sich dort auf den Beruf des Geistlichen vor. Am Anfang schien ihm das Kloster selbst die geheimnisvolle, sichtbare und unsichtbare Verkörperung des lebendigen Jesus zu sein. Hier, so hatte er geglaubt, würde er dem Herrn ganz nahe sein können. Doch gegenwärtig scheint Jesus höchstens im Zeugnis der anderen Ordensschüler und Klosterbrüder, die nicht müde werden, seinen Geist heraufzubeschwören. Warum nur ist er, Matthias, bedürftiger als die anderen? Ist das Böse in ihm so stark, dass es ihn blind und taub macht für die Zeichen? Immer wieder spricht der Präzeptor vom Opfer, das Gott den Menschen mit seinem Sohn gebracht hat. Immer wieder fordert er Dankbarkeit dafür ein. Dankbarkeit und Liebe.
    Und Matthias strebt mit allen Kräften danach, diese Dankbarkeit und Liebe zu empfinden. Immer wieder kniet er, im Gebet versunken, auf den kalten Steinen der Klosterkapelle. Jeden Tag mehrere Male. Vergeblich. Ja, er geißelt sich sogar. Über den nackten Körper zieht er ein grobes Büßerhemd, schlägt sich selbst, um im Schmerz zu Jesus zu finden. Matthias fastet, vertauscht sein Schlaflager mit dem harten, kalten Steinboden, doch alles ist vergebens. Jesus zeigt sich ihm nicht. Jesus schweigt. Wie soll er den Menschen später einmal als Geistlicher von Jesus sprechen, wenn er ihn nicht kennt? Wie soll er die Gläubigen erbauen, wenn er selbst von einer Traurigkeit ist, die sich durch nichts lindern lässt? Der Präzeptor Jakob Ebelson weiß auch keine rechte Antwort auf Matthias’ Fragen. »Du musst dein Heil im Gebet suchen. Im Gebet und in guten Taten. Achte die Gebote und bete. Einen anderen Weg gibt es nicht.« Ebelson sieht die Mutlosigkeit im Blick des Jungen und nimmt Matthias mit in die Klosterbibliothek. Er mag den Jungen, den die anderen als melancholisch und schwer zugänglich beschreiben. Schon lange hat er erkannt, dass sich hinter Matthias’ Zweifeln und seiner Nachdenklichkeit das ehrliche Bemühen um Gott verbirgt. Ein Bemühen, das ihm überspannt erscheint, doch deshalb nicht weniger aufrichtig ist. Ein Ringen auch gegen die Zweifel und Anfechtungen, ein Ringen in Angst. Er möchte ihm gern helfen, doch all die Gespräche mit ihm haben nur gezeigt, dass der Junge sein Heil wohl nicht zwischen den Mauern dieses Klosters finden wird. Seine Denkweise, sein Charakter entsprechen nicht dem eines Ordensbruders. Matthias ist nicht geschaffen für ein Leben im Kloster, fühlt keine Berufung. Und doch versucht es der Präzeptor immer wieder. Heute zeigt er ihm in der Bibliothek eine Stelle in der Bibel, von der auch die vielen Wanderprediger immer wieder sprechen. Römer 1,17. Matthias liest: »Im Evangelium wird offenbart die Gerechtigkeit, welche kommt aus Glauben in Glauben, wie geschrieben steht. Der Gerechte wird aus dem Glauben leben.«
    »Du musst glauben, Matthias. Ganz fest musst du glauben und die Zweifel aus deinem Herzen jagen«, beschwört ihn Ebelson. Er ringt um diesen Jungen. »Bete, faste! Hör nicht auf damit, dann wird sich dir der Herr auch zeigen.«
    Matthias nickt und schleicht aus der Bibliothek. Der Präzeptor meint es gut mit ihm. Matthias weiß es. Doch er selbst ist kein Gerechter. Er kann nicht aus dem Glauben leben. Nicht so. Nicht durch Fasten und Beten und Geißelungen. Er hat es ja versucht. Ist sein Glaube zu schwach? Zu sehr von Zweifeln durchsetzt? Wie
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