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Der Maler Gottes

Der Maler Gottes

Titel: Der Maler Gottes
Autoren: Ines Thorn
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Der 16-jährige ahnt, dass der Vater davon weiß, doch er hat nie ein Wort darüber verloren. Wie gern würde Matthias einmal ein großes Tafelbild auf Holz malen, doch die Farbherstellung ist kostspielig, langwierig und schwierig. Woher soll er Farben nehmen, woher das Holz? Nein, ihm bleiben nur die groben Holzscheite zum Schnitzen und die Papierreste, die er manchmal von seinem Paten bekommt, um mit Kohle darauf zu zeichnen.
    Von Benedikt hat er eine kleine Holztafel bekommen. Fein geschliffenes Eichenholz, gut abgelagert und getrocknet. Auch die Farben sind gut, sogar ein wenig Blattgold ist dabei. Ganz vorsichtig zeichnet Matthias mit schmalem Strich die Umrisse der Gottesmutter auf das grundierte Holz. Jung ist sie, seine Maria, mit rundem Gesicht und langem Haar, das ihr wie Wasser über die Schultern fließt.
    Ganz vorsichtig trägt er nun die Farben auf. Rot für das Kleid der Jungfrau, Blau für den Umhang, Gold für ihr Haar als Sinnbild der Göttlichkeit. Für das Gesicht der Maria, für den Körper des nackten Jesuskindes und für die Windel braucht Matthias weiße Farbe. Doch der Mönch hat ihm kein Weiß gegeben. Matthias streift durch die Werkstatt des Vaters. Er braucht das Weiß, alle anderen Farben würden die Heiligkeit der Jungfrau und des Gottessohnes beschmutzen! Er schaut in jede Schale, in jede verschlossene Flasche, in jeden Krug. Nirgends findet er die gesuchte Farbe. Selbst auf den Mischpaletten kleben keine Reste mehr.
    Matthias ist ratlos. Er braucht das Weiß, dringend! Soll er sich an die geheimen Vorräte des Vaters wagen? Er kann die Jungfrau nicht ohne Weiß malen. Er muss es tun. Doch ihm ist nicht wohl, als er im Mondlicht zum Misthaufen auf dem Hof schleicht und mit bloßen Händen nach der Kiste mit den Bleitafeln gräbt. Matthias weiß genau, wie schwierig es ist, weiße Farbe herzustellen. Er weiß, wie teuer die Bleiplatten sind, die man in Kisten oder Fässern verstaut, mit dem Urin von Pferden tränkt und dann in die Mitte des Misthaufens stellt. Genau in die Mitte, denn nur dort herrscht eine gleichmäßige Temperatur. Matthias weiß auch, wie viel Zeit vergehen muss, bevor sich endlich durch eine Reaktion des Bleis mit dem Pferdeurin eine weiße Schicht auf den Platten bildet, die man abkratzen, mit Eiklar vermischen und dann endlich auftragen kann. Matthias weiß das alles, und doch gräbt er unter dem Mondlicht mit beiden Händen nach der Kiste. Nur eine Bleiplatte nimmt er heraus, eine einzige. Behutsam entfernt er die weiße Schicht, schiebt die leere Platte in die Mitte des Stapels, verschließt die Kiste und gräbt sie wieder ein. Vorsichtig trägt er die Schale mit dem weißen Pulver in die Werkstatt. Einen Teil hält er zurück, den anderen vermischt er mit ein wenig Kalk, einem Tropfen Rot, einem Hauch Gelb, so dass schließlich eine Mischung entsteht, die der Farbe seiner eigenen Haut gleicht. Mit dem Finger tupft er in die Masse, verstreicht einen winzigen Klecks auf der Innenseite des Handgelenks, hält das Handgelenk ins Mondlicht, in den Schatten. Ja, er hat es geschafft. Jetzt hat die Mischung den Ton seiner Haut.
    Sein Herz klopft zum Zerspringen, als er den Pinsel endlich in die Farbe taucht. Seine Hand zittert vor Aufregung bei den ersten Strichen. Behutsam, ganz behutsam haucht er seiner Maria Leben ein. Ein Gesicht entsteht, so rein und klar, so göttlich und unschuldig, wie es nur ein einziges gibt.
    Matthias’ Hände malen wie von selbst. Es ist, als würde der Pinsel von jemand anderem geführt. Matthias malt und malt. Er hat alles rings um sich vergessen: die Werkstatt, das Kloster, Bruder Benedikt, sogar seinen eigenen Namen. Nur den Pinsel nimmt er wahr, das Gesicht der Jungfrau, das Jesuskind. Dann ist das Bild fertig. Matthias sitzt davor, betrachtet es. Betrachtet es lange, und plötzlich spürt er sein Herz laut und heftig wie nie schlagen. Es hämmert gegen seine Brust, das Blut dröhnt ihm in den Ohren, Tränen rinnen ihm aus den Augen. Farben erscheinen vor ihm, so leuchtend und von so überirdischer, strahlender Schönheit, wie er sie noch nie gesehen hat. Weiß, Purpur, Königsblau, Orange, Tannengrün, Flieder, Rosa, Sonnengelb. Die Farben vermischen sich, bilden neue Töne, werden wieder klar, verbinden sich erneut zu den schönsten Färbungen. Sie spielen, tanzen, Regenbogen entstehen, leuchten satt, dann sanft. Ein göttlicher Reigen, ein himmlischer Rausch vor seinen Augen, der ihn blind und zugleich sehend macht. Es ist, als
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