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Der Maler Gottes

Der Maler Gottes

Titel: Der Maler Gottes
Autoren: Ines Thorn
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sich gebärdet wie eine Wahnsinnige, doch gleichzeitig fragt er sich, ob es wirklich so ist, wie ihm Anna in ihren wenigen klaren Momenten vorwirft: »Alle meine Schwestern haben Kinder. Nur ich nicht. Es liegt an dir, Matthias. Du bist verdammt und ich mit dir.«
    Nur selten besucht Matthias seine Frau im Spital. Er ekelt sich vor den Gerüchen nach Angst und Sterben, die wie eine Wand durch den Schlafsaal mit den vielen Kranken wabern. Er fürchtet sich vor dem Stöhnen, vor den Schreien und Seufzern, vor dem Elend und dem Wahnsinn, der im Spital herrscht.
    Zögernd läuft er an den Bettstellen vorbei, die oft mit zwei und mehr Kranken belegt sind. Er sieht in jedes einzelne Gesicht, betrachtet die grotesken, verzerrten Züge, hört auf das Jaulen und Wimmern, möchte davonlaufen und geht doch weiter, sieht weiter in jedes Gesicht.
    »Matthias! «
    Wie ein Hauch dringt das Wort durch den Krankensaal, wie ein Hauch frischer Luft dringt es in Matthias’ Bewusstsein. Er bleibt stehen, sieht sich um, sucht das Gesicht seiner Frau und weiß doch genau, dass der schwache Ruf nicht von ihr gekommen ist.
    Eine Hand, eine knochige, von entzündeten Wunden bedeckte Hand schiebt sich aus einem der Betten, will nach ihm greifen. Matthias weicht der Hand aus, geht trotzdem näher und betrachtet das verwüstete Antlitz einer Frau, sieht das lange, strähnige, einstmals wohl blonde Haar, die glanzlosen blauen Augen, den blutleeren Mund, sieht auch die Wunden überall, riecht Urin, Eiter, Blut und Kot – und erkennt in diesem unwürdigen, entstellten Menschenbündel Magdalena. Ihr Anblick erschüttert ihn, ihr Bild legt sich wie ein Ring aus Eis um sein Herz. Ohne es zu merken, steigen ihm Tränen in die Augen. Er kniet neben dem Bett nieder, fasst nun doch nach der Hand und streichelt behutsam darüber. »Magdalena«, flüstert er. »Was ist geschehen?« Die blutleeren Lippen verziehen sich und geben den Blick auf zahnlose Kiefer und eine geschwollene Zunge frei. »Ich habe die Franzosenkrankheit«, flüstert Magdalena und schluckt schwer. »Ich werde sehr bald sterben, Matthias.«
    Sie sehen sich an und wieder, so, als ob nichts zwischen ihnen stünde, als ob es die Jahre der Trennung nie gegeben hätte, berühren sie mit ihren Blicken die Seele des anderen. Und Matthias’ Seele erwacht, will hinaus aus der selbst gewählten Gefangenschaft der endlosen Nacht, will sich aufschwingen zu Magdalena, zum Leben. Er fühlt wieder das Blut durch seine Adern rinnen, spürt seinen Herzschlag, spürt das Leben in sich, das er längst verloren glaubte.
    »Nein, Magdalena, du darfst nicht sterben. Nicht jetzt, da ich dich endlich wiederhabe. Magdalena, verlass mich nicht. Ich könnte es nicht ertragen.« Die Empfindungen in Matthias’ Herz überschlagen sich. Magdalena. Er hat sie wieder. Sie, die ihm gezeigt hat, was Liebe ist, was Leben bedeutet. Er braucht sie doch. Nur mit ihr kann auch er wieder zu Liebe und Leben gelangen. Sie darf nicht sterben! »Ich liebe dich, Magdalena«, flüstert er und bedeckt die Wunden übersäte Hand mit Küssen. »Ich brauche dich.«
    »Ich liebe dich auch; Matthias. Ich habe dich immer geliebt«, flüstert Magdalena, dann schließt sie erschöpft die Augen.
    »Stirb nicht, Magdalena«, bittet er und kann die Tränen nicht länger zurückhalten. »Bleib bei mir, bitte«, drängt er, streicht ihr das wirre Haar aus dem Gesicht, streichelt ihre eingefallenen Wangen, rüttelt leicht an ihren knochigen, spitzen Schultern.
    Ein Pfleger kommt, zieht Matthias behutsam von der Sterbenden weg. »Geht nach Hause«, sagt der Pfleger mit Nachdruck. »Geht nach Hause, Ihr könnt nichts für sie tun. Kommt morgen wieder, gleich in der Frühe. Am Morgen haben die Kranken noch die meiste Kraft. Vielleicht könnt Ihr dann noch einmal mit ihr sprechen.« Matthias lässt sich willenlos zum Ausgang führen. Anna hat er längst vergessen. Er denkt nur noch an Magdalena, und in seiner Seele kämpft die Freude darüber, dass er sie wiedergefunden, endlich wiedergefunden hat, mit dem Schmerz, sie schon sehr bald zu verlieren. Für immer zu verlieren. Er weiß, wenn Magdalena stirbt, dann ist auch sein Leben zu Ende. Bis jetzt hatte er tief in seinem Herzen die leise Hoffnung, ihr eines Tages doch wieder zu begegnen, sie wiederzufinden. Diese leise Hoffnung war es, die ihn bisher am Leben hielt. Wenn sie stirbt, dann wird auch er endgültig zu Staub.
    Die ganze Nacht verbringt er betend auf den Knien. Wieder hält er
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