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Der Liebhaber meines Mannes

Der Liebhaber meines Mannes

Titel: Der Liebhaber meines Mannes
Autoren: Bethan Roberts
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Reihen auf. Es entstand eine kurze Pause, während der ich die Schritte anderer Lehrer im Flur hörte,das unbeirrte Schlagen anderer Klassenzimmertüren beim Öffnen und Schließen und sogar eine Frau, die lachte und sagte: »Nur eineinhalb Stunden bis zur Kaffeezeit!«, bevor eine Tür zuknallte.
    Ich stand vor meiner eigenen Klassenzimmertür. Sie schien weit von mir entfernt. Und während die Kinder näher marschiert kamen, nahm ich das Bild intensiv wahr, in der Hoffnung, dass ich dieses Gefühl der Distanz in den folgenden Minuten bewahren könnte. Die Woge von Stimmen hob sich allmählich wieder, wurde aber bald von einem Mann, der »Ruhe!« bellte, eingedämmt. Es folgte das Öffnen von Türen und Schlurfen und Scharren von Stiefeln auf Holz, als die Kinder in ihre Klassenzimmer gehen durften.
    Ich glaube, es wäre falsch zu sagen, dass ich
Panik
empfand. Ich schwitzte nicht oder mir war nicht übel wie im Flur mit Julia. Stattdessen überkam mich eine vollkommene Leere. Ich konnte mich weder aufraffen, den Kindern die Tür zu öffnen, noch, mich hinter das Pult zu begeben. Wieder dachte ich an meine Stimme und überlegte, wo genau in meinem Körper sie sich befand, wo ich sie vielleicht finden könnte, wenn ich suchen würde. Es war, als ob ich träumte, und ich glaube, ich schloss die Augen für eine Minute, in der Hoffnung, dass mir alles wieder wirklich erscheinen würde, wenn ich sie wieder öffnete; meine Stimme würde zurückkehren und mein Körper wäre wieder fähig, sich in die richtige Richtung zu bewegen.
    Das Erste, was ich sah, als ich die Augen öffnete, war die gegen die Glasscheibe in der Tür gepresste Wange eines Jungen. Aber meine Glieder bewegten sich immer noch nicht, deshalb war es eine Erleichterung, als die Tür sich öffnete und der Junge mit dem schwarzen Pony mit dem Anflug eines Grinsens wieder fragte: »Können wir jetzt reinkommen?«
    »Dürft ihr«, sagte ich und drehte mich zur Tafel, um nicht zusehen zu müssen, wie sie auftauchten. All die kleinen Körper, die Sinn und Gerechtigkeit und Anleitung von mir erwarteten!Kannst du dir das vorstellen, Patrick? In einem Museum stehst du deinem Publikum nie gegenüber, oder? In einem Klassenzimmer jeden Tag.
    Während sie nacheinander hereinkamen, flüsternd, kichernd, Stühle rückend, nahm ich die Kreide und schrieb, wie ich es auf dem College gelernt hatte, das Datum in die linke obere Ecke an die Tafel. Dann kam mir aus irgendeinem unerfindlichen Grund in den Sinn, Toms Namen zu schreiben statt meinen. Ich war so daran gewöhnt, seinen Namen jeden Abend in mein Notizbuch zu schreiben – manchmal entstand eine Spalte Toms und daraus wurde eine Mauer aus Toms oder eine Turmspitze aus Toms –, dass es plötzlich möglich, vielleicht sogar vernünftig schien, dasselbe einfach an diesem öffentlichen Ort zu tun. Das würde die kleinen Rotzlöffel schockieren. Meine Hand schwebte über der Tafel und – ich konnte mir nicht helfen, Patrick – ich musste lachen. In der Klasse wurde es still, während ich ein schallendes Lachen unterdrückte.
    Ich brauchte einen Moment, um mich zusammenzunehmen, dann berührte die Kreide die Tafel und begann, Buchstaben zu formen; es entstand dieses herrliche tönerne Geräusch – ganz zart, aber deutlich –, während ich in großen Buchstaben schrieb:
    MISS TAYLOR .
    Ich trat zurück und sah mir an, was ich geschrieben hatte. Die Buchstaben stiegen nach rechts an, als wollten auch sie diesem Raum entfliehen.
    MISS TAYLOR .
    So hieß ich von jetzt an.
    Ich wollte eigentlich nicht direkt die Reihen von Gesichtern ansehen. Ich wollte die Augen auf die Jungfrau über der Tür heften. Aber da waren sie, unmöglich ihnen auszuweichen, sechsundzwanzig auf mich gerichtete Augenpaare, jedes Paar anders, aber gleichermaßen durchdringend. Ein Paar stach hervor: Der Junge mit demPony saß am Ende der zweiten Reihe und grinste; in der Mitte der vorderen Reihe saß ein Mädchen mit ungeheuer dicken schwarzen Locken und einem Gesicht, so blass und schmal, dass ich einen Moment brauchte, um den Blick von ihr abzuwenden; und in der hinteren Reihe saß ein Mädchen mit einer schmutzig aussehenden Schleife seitlich im Haar, die Arme fest verschränkt und mit tiefen Falten um den Mund. Als ich sie ansah, sah sie – anders als die anderen – nicht weg. Ich wollte sie zuerst auffordern, die Arme auseinander zu nehmen, überlegte es mir aber anders. Ich dachte, es würde noch genug Zeit sein, solche Mädchen
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