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Der Liebhaber meines Mannes

Der Liebhaber meines Mannes

Titel: Der Liebhaber meines Mannes
Autoren: Bethan Roberts
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Schlüssel in der Hand herausgekommen, ohne Geld für den Bus. Zu Fuß würde ich von hier mindestens eine halbe Stunde brauchen. Ich fing an zu laufen, und als ich das Ende der Straße erreichte, bog ich unwillkürlich Richtung Strandpromenade ab. Auch wenn mein Kopf langsam war, mein Körper schien zu wissen, was zu tun war. Ich wusste, wo er war, verstehst du. Ich hatte es die ganze Zeit gewusst. Er hatte die Nacht – die ganze Nacht – bei dir verbracht. Er hatte sich gar nicht erst eine Entschuldigung ausgedacht. Tom war in deiner Wohnung.
    Ich eilte die Marine Parade entlang, manchmal rannte ich, manchmal fiel ich in einen Dauerlauf, wenn die Seitenstiche stärker wurden. Ich war erregt vor Wut. Wenn Tom in dem Moment vor mir gestanden hätte, hätte ich ihn wiederholt geschlagen und auf jede erdenkliche Art beschimpft. Während ich lief, stellte ich mir vor, wie ich genau das tat. Ich freute mich schon fast darauf und konnte es nicht erwarten, zu euch beiden zu kommen und meinen Zorn an euch auszulassen. Es war nicht nur Zorn auf dich und Tom. Ich hatte auch Julia verloren. Sie hatte mir ihr Geheimnis verraten, und jetzt konnte sie mir nicht vertrauen und sie hatte recht damit. Ich hatte als Freundin versagt, das begriff ich selbst damals. Und ich hatte als Ehefrau versagt. Mein Ehemann begehrte mich nicht so, wie es sein sollte.
    Als ich ungefähr den halben Weg zurückgelegt hatte, kam mir plötzlich der Gedanke, dass ich sagen könnte, ich würde Tom verlassen. Schließlich hatte ich eine Stelle. Ich könnte mir eine eigene kleine Wohnung leisten. Es gab keine Kinder, an die ich denken musste, und wie die Dinge lagen, würde es nie welche geben. Ich würde mich weigern, ein unglückliches Leben zu führen. Ich würde einfach weggehen. Das würde ihm eine Lehre sein. Niemand, der für ihn kocht und sauber macht. Niemand, der seineverdammten Hemden bügelt. Bei dem Gedanken an das Hemd, das du ihm gekauft hattest, fing ich an zu sprinten. In der Eile warf ich fast einen alten Mann um, so heftig knallte ich mit ihm zusammen. Er schrie auf vor Schmerz, aber ich hielt nicht an oder sah mich auch nur um. Ich musste zu deiner Wohnung, euch zusammen erwischen und meinen Entschluss verkünden. Genug war genug.
    Ich drückte auf deinen Klingelknopf, lehnte dabei den Kopf gegen die Tür und versuchte, Atem zu holen. Keine Antwort. Ich drückte wieder, ließ es diesmal länger klingeln. Immer noch nichts. Natürlich. Ihr beide würdet im Bett sein. Ihr könnt euch wahrscheinlich denken, dass ich es bin. Ihr würdet euch verstecken. Verstecken und lachen. Ich hielt den Finger mindestens eine Minute auf den Klingelknopf und schlug mit der anderen Hand den großen Messingtürklopfer. Nichts. Ich drückte auf die Klingel und ließ dann los, klingelte eine ungeduldige Melodie. RING. RING. RING. RI-RI-RING. RI-RI-RING .
    Nichts.
    Ich würde gleich schreien.
    Da öffnete sich die Tür. Ein Mann mittleren Alters mit einem gelben Morgenmantel mit Paisleymuster stand vor mir. Er trug eine Goldrandbrille und sah sehr müde aus. »Um Himmels willen«, sagte er, »Sie wecken das ganze Haus auf. Er ist nicht da, gute Frau. Bitte hören Sie auf, die höllische Klingel zu drücken.«
    Er wollte die Tür schließen, aber ich hielt sie auf, indem ich den Fuß hineinklemmte. »Wer sind Sie?«, fragte ich.
    Er sah mich von oben bis unten an. Mir wurde plötzlich bewusst, dass ich zum Fürchten aussehen musste: blass und verschwitzt, Haare ungekämmt, in einem zerknitterten Kleid.
    »Graham Vaughan. Wohnung im obersten Stockwerk. Sehr wach. Und ziemlich verärgert.«
    »Sind Sie sicher, dass er nicht da ist?«
    Er verschränkte die Arme und sagte ganz ruhig: »Natürlich bin ich sicher, meine Liebe. Die Polizei hat ihn gestern Abend geholt.« Er senkte die Stimme. »Wir wussten alle, dass er schwul war – es gibt hier so viele davon –, aber man kommt nicht umhin, Mitleid mit ihm zu haben. Manchmal geht es in diesem Land zu brutal zu.«

 
     
     
     
     
    DU UND ICH, WIR sind uns wirklich sehr ähnlich, nicht wahr? Ich merkte es damals auf der Isle of Wight, als du Toms Ansichten übers Kindergroßziehen infrage gestellt hast. All die Jahre habe ich es gewusst, aber erst jetzt bin ich wirklich davon überzeugt, seitdem ich das hier schreibe und mir klar wird, dass keiner von uns bekommen hat, was er wollte. Eigentlich etwas ganz Kleines – wer bekommt es schon? Und dennoch ist es vielleicht die lächerliche, blinde, naive, mutige,
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