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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat
Autoren: Joseph von Westphalen
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Immerhin mußte ich es auf diese Weise Ellen nicht selbst gestehen. Du wolltest wissen, ob Penelope auf den Berg kommen würde: Sie kam. Was dann geschah, werde ich dir nicht verraten.«
    Jetzt konnte dem Problem der Tscherkessin nicht mehr ausgewichen werden. Im Hotel war sie nicht, Viktor wollte schon erleichtert auflegen, als man ihm eine Telefonnummer nannte, unter der Madame Marronnier zu erreichen sei. Heiterste Gesellschaft. »’Ör mal, Goldmann, du mußt kommen, sofort«, befahl sie und zählte die interessanten Menschen auf, mit denen sie zusammen war. Viktor blieb hart. Nach dem »Ciao Stambecco«, das Penelope ihm eben zugerufen hatte, war jeder Gedanke an eine andere Frau für drei Tage verboten. Die Tscherkessin gurrte. Viktor konnte ihren Lockrufen nur mit der Wahrheit widerstehen. Zur Strafe nannte sie ihn »Louis Trenker« und bezeichnete Penelope als »Leni, die Bergschickse«. Ihre Eifersucht machte Viktor die Absage leichter. »Schön blöd, daß du nicht kommst,« sagte sie, »ein Bankier Rothschild ist ‘ier, der deine Bücher mag und dich gern kennengelernt ‘ätte.« Das war nicht einmal ausgeschlossen. Rebecca Marronnier, genannt die Tscherkessin, hatte Zugang zur Unterwelt wie auch zur High Society. Morgen habe sie noch den ganzen Tag in Zürich zu tun und bleibe auch noch eine Nacht im Hotel, das sei Viktors letzte Chance: »Wenn du nicht kommst, ist es aus.«
    Morgen war weit weg. Die Tscherkessin hatte für seinen Zustand wenig Verständnis. Unmännlich fand sie das. Als Mann, fand sie, konnte man sich entweder einer Frau unterwerfen, oder man unterwarf die Frau – aber nicht das, nicht diese abendländische Verehrung von Schicksen, die es nicht verdient hätten. Das machte sie nervös. Die Orientalen mochten begnadete Unterdrücker und Sodomisten sein – von den Wonnen des dahinschmelzenden Minnesangs hatten sie keinen Schimmer.
    Viktor hatte eine Melodie im Kopf, die er nicht identifizieren konnte. Er rief Adrian an und summte ihm die Melodie vor. Adrian, wußte sofort, was es war, sagte es aber nicht. Erst wolle er auf den neuesten Stand von Viktors Liebesleben gebracht werden. Er bat um eine Kurzfassung. Fünf Minuten. Viktor legte los, obwohl Adrian nur deswegen auf den laufenden Stand der Dinge gebracht werden wollte, um anschließend den Kopf zu schütteln und ihm im Gegenzug sein glückliches und ruhiges Leben mit Lisa zu schildern: Viktor sei ein Trottel, er verzettle sich; daß er nicht mehr wisse, von wem das Musikstück sei, sei eine Folge seines unkonzentrierten Lebenswandels. Viktor wehrte sich, er sei die Zielgerichtetheit in Person, er wisse genau, was er wolle, wenn Adrian auch nur den Ellenbogen von Penelope kennen würde, würde er ihn verstehen und erst recht, wenn er sehen könne, wie die Musik in die Gliedmaßen dieses göttlichen Körpers fahre. Wenn ihre Gazellenaugen glänzten und sie ihren Gazellenmund öffne und »Super« sage, dann wisse man wieder, wozu man auf der Welt sei
    »Na schön«, sagte Adrian, »
Slumber
heißt das Stück, das du suchst, Tom Archia 1947 am Tenorsaxophon.«
    »Danke, Arschloch-Kollege«, sagte Viktor, legte auf und suchte die kostbare Kopie. Wie hatte er das vergessen können! Auch das war vor ein paar Jahren eine Odyssee gewesen, an dieses Stück zu kommen. Dutzende von Bitt-und-Bettel-E-Mails hatte er an einen aus Erlangen ausgewanderten Besitzer der entsprechenden Shellack-Platte in Chicago schreiben müssen, bis dieser ihm eine Kopie der Aufnahme mit den tröstlichen Worten zukommen ließ: »Wer
Slumber
von Tom Archia liebt, kann kein schlechter Mensch sein.« Einen Monat lang hatte er den dämmerigen Blues unentwegt gehört – dann war er ihm entglitten. Das waren Sünden. Nichts, was man liebte, durfte einem entgleiten. Er überspielte das Stück, das nichts von seiner Wirkung verloren hatte, auf eine Kassette und entschuldigte sich bei seinem längst gestorbenen, zum Zeitpunkt der Aufnahme siebenundzwanzig Jahre alten Schöpfer.
    Viktor nahm die Kassette, Stift und Papier, eilte aus dem Hause, bezog eine Hotelbar, rauchte und schrieb an Penelope. Das eben erst beendete historische Abendessen mußte, solange es in Erinnerung war, detailgenau rekonstruiert und analysiert werden. Er beschrieb seine unnötige Angst vor gesenkten Blikken, pries Penelopes Geradlinigkeit und ihre Fähigkeit, die Liebe auszusperren, um das ungute Glimmen und Schwelen geheimer Gefühle zu verhindern, was ihr allerdings so gut gelungen sei, daß er
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