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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat
Autoren: Joseph von Westphalen
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Damit war die Geschichte zumutbar. Penelope schimpfte auf Viktors Leichtsinn. »Er spinnt total«, sagte sie und war wieder richtig aufgebracht, »nicht einmal ein Handy hat er, das muß doch heute jeder mitnehmen, wenn er in die Berge geht, wie soll man sonst um Hilfe rufen?« Viktor fluchte auf die Unwirtlichkeit des Hochgebirges und die viele Ausrüstung, die man mit sich herumschleppen mußte. Penelope schüttelte den Kopf und sagte, Viktor sei ein alpines Naturtalent, sie habe ihn gebeten, sie auf weitere Viertausender zu begleiten.
    »Das wird unserem Stubenhocker gut tun«, sagte Ellen.
    »Mir graut es bei dem Gedanken«, sagte Viktor, »das ist die Hölle da oben«– und auch das war nicht gelogen.
    »Beim Abstieg wird es doch dann schön«, sagte Penelope. Es war unglaublich. Selbst diese Bemerkung hatte keinen anzüglichen Doppelsinn, sie kam munter daher, als verbände Penelope und ihn nichts anderes als eine frischfröhliche Bergkameradschaft.
    Und auf einmal war es nicht mehr als eine frischfröhliche Bergkameradschaft. Viktor begriff: Dies war der Preis, der für diese Liebschaft gezahlt werden mußte. Sie brauchten sie nicht errötend zu verleugnen, sie brauchten sie nicht bebend zu gestehen. Sie erwähnten sie einfach nicht. Sie taten so, als sei die Liebe nicht da. Und damit war sie tatsächlich nicht da. Sie hatten sie in den Bergen gelassen. Und im Auto. Hier spürte man sie nicht. Sie störte nicht, und sie beglückte nicht. Sie mußte nicht vor Ellen versteckt werden. Sie quälte niemanden. Es wurde nicht gelogen, es gab keine schiefen oder gesenkten Blick. Es fand kein Doppelspiel statt. Es wurde nur nicht alles gesagt. Nie sagte man alles. Kein Hintergedanken lauerte tückisch, als Penelopes große Gazellenaugen ohne jede Heimlichkeit zwischen Ellen und Viktor hin- und herwanderten. Genau dies war vor Jahren nicht gelungen, als Ira und er sich verliebt hatten und Ella anfangs manchmal anwesend war. Ira und er hatten sich angestarrt, süchtig wie zwei kriminelle Komplizen. Es war eine Zumutung gewesen.
    »Ist sie nicht hinreißend?« sagte Ellen, als Penelope ins Bad gegangen war.
    »Das ist sie«, sagte Viktor und seufzte tief, und auch sein Seufzen war echt. Ellen kannte Viktor gut genug, um zu wissen, welche Wünsche nach tiefer, tiefer Ewigkeit damit verbunden waren. Das brauchte er nicht zu verheimlichen. Nur ein Stumpfkopf oder ein Liebhaber fetter Frauen konnte angesichts der gazellenhaften Penelope diesen Wunsch nicht haben.
    Als Viktor einen Kaffee gemacht hatte, sagte Ellen plötzlich: »Und jetzt?«
    Sekundenlang dachte er, daß es jetzt losgehen würde. Ein Verhör. Zetern und Wehklagen. Tränen der Wut und der Verzweiflung: »Glaubt ihr denn, ich bin blind! Glaubt ihr denn, ich laß mir alles gefallen! Ich werde euch vernichten! Und ich habe euch vertraut!« Aber Ellen meinte nur, was jetzt mit dem angefangenen Abend geschehen solle.
    Und schon kam sich Viktor unschuldig vor wie ein Engel. Nichts, absolut nichts, hatten Penelope und er schließlich getan, das gegen die Interessen von Ellen oder Urs gerichtet war. Er war der Gazelle ans Fell gegangen – na und. War einem Steinbock ja wohl nicht verboten. Man war so traumatisiert von dieser kleinkarierten bürgerlicher Mißgunstmoral, von diesem giftigen säkularisierten Extrakt hinterfotziger christlicher Gebote, der Hunderttausende von Romanen, Theaterstücken und Filmen des bescheuerten neunzehnten und des noch viel bescheuerteren zwanzigsten Jahrhunderts zusammenklebte, von diesen ewigen dummen Eifersuchtsanfällen, von dieser ewigen dummen Angst, ausgeschmiert zu werden – man witterte schon Strafe, wenn man völlig unschuldig war. Schluß damit, mit dieser Plump- und Billig-Tragik der abendländischen Hochkultur! Sollten die Amis ihre infantilen Amifilme weiter mit dieser heillosen Banausenmoral bestücken. Sicher, er konnte in Ellens Gegenwart keine Steinbockschnauze machen und mit seiner Steinbockzunge an Penelopes Gazellenmaul herumspielen, aber er konnte und würde das demnächst in den Bergen tun – und er würde nichts bereuen müssen und würde nicht bestraft werden dafür. Es war tragisch und komisch und spannend genug, so lange darauf warten zu müssen. Mehr Unglück hatte kein Mensch verdient, als auf die Liebe ein wenig warten zu müssen.
    »Ich liebe euch«, sagte Viktor, als er Ellen und Penelope so einträchtig am Tisch sitzen und den Wein leeren sah. Er hatte geglaubt, sich halb tottrinken zu müssen, um den
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