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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat
Autoren: Joseph von Westphalen
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Das war keine Falle, kein Bluff, Ellen wußte es – aber woher? Er schaute ihr tief in die Augen und war im Augenblick ratlos. Er wollte Zeit gewinnen.
    »Entschuldige, daß ich so neugierig bin«, sagte Ellen formvollendet – und fügte vornehm hinzu: »Ich möchte dir nicht zu nahe treten.«
    »Ja«, sagte Viktor, »sie ist gekommen.« Er war froh, daß sie nur ihn ansprach, daß Ellen nicht gesagt hatte: Ich möchte »euch« nicht zu nahe treten. Ella hatte damals, als es mit Ira losging, immer den Plural benutzt und von »ihr« und »euch« gesprochen und sich mit dem häßlichen Bild »zwei gegen eine« herumgequält. »Du kannst dir denken, daß ich auch neugierig bin«, sagte Viktor.
    Ellen sagte: »Ich weiß es von Sabine.«
    Viktor schob seinen Kopf vor.
    »Mach nicht diesen Schildkrötenhals«, sagte Ellen. Sabine hatte in der Zeitung etwas von einem Lawinenunglück gehört. Ein Mann aus Zürich, am 8. Mai. Tot. »Sie war vollkommen sicher, daß du hinüber bist«, sagte Ellen, »dabei hat sie sich verplappert. Sie war ziemlich gut informiert, was deine hoffnungsvolle Hochgebirgs-Verabredung betrifft.«
    Viktor schwieg und dachte: »Glücklich die Männer, die ihren Frauen treu sind, denn ihnen bleibt diese Hölle erspart. Amen.«
    Ellen schwieg und schälte einen Pfirsich. Bis jetzt hätte der Dialog auch in der Ella-Ehe so ähnlich verlaufen können. Aber dann, nach dem Verzehr des Pfirsichs, wäre es losgegangen: Und jetzt? Wie soll es weitergehen? Was stellst du dir vor? Sie oder ich?
    »Und jetzt?« fragte Ellen.
    »Jetzt werde ich ab und zu mal mit ihr in die Berge gehen.«
    »Gratuliere«, sagte Ellen, »ich hätte nicht gedacht, daß sie kommt.«
    »Ich auch nicht«, sagte Viktor und fügte hinzu: »Ich hätte es dir im September gesagt.«
    Ellen glaubte ihm nicht. Er konnte es beweisen: »Ein Ehepaar kauft eine Alpenlandschaft«. Im September würde diese Frauenzeitschrift mit seiner Erzählung erscheinen. »Da kommt der ganze Wahnsinn vor«, sagte Viktor: »Unser Buhlen um Penelope. Ehemann plant Bergtour, Ehefrau schenkt Bergbild.«
    »Kommt in der Geschichte die Freundin auch zum Gipfeltreffen?« fragte Ellen.
    »Das nicht«, sagte Viktor.
    »Aha!«
    »Das hätte unglaublich geklungen«, sagte Viktor, »wie eine Männerphantasie.« Er vermute, daß die Redaktion der Frauenzeitschrift eine Erzählung mit einem solchen Ausgang gar nicht genommen hätte.
    »Ah ja«, sagte Ellen und wirkte so gelangweilt, daß sich Viktor albern vorkam. Sie schwieg wieder und trank Kaffee. Dann steckte sie sich eine Zigarette an. Sie rauchte selten und noch seltener am Morgen. Sie rauchte nur, wenn sie sehr guter Laune war. »Ich habe Penelope heute abend zum Essen eingeladen«, sagte sie dann, nachdem sie nach einem tiefen Lungenzug die eben angesteckte Zigarette wieder ausgedrückt und den Rauch aus sich herausgeblasen hatte. »Ich weiß nicht, ob du Zeit hast«, fügte sie dann höflich hinzu, »ruf mich doch bitte bis zum Mittag im Büro an, ich muß es wissen wegen der Sachen, die ich dazu einkaufe.«
    Ein perfekter Abgang. Wieder war sie entschlossen, ihre Wunderwaffe einzusetzen. Die bewährte Taktik: Tilgung der erotischen Gefühle durch familiäre Einbindung.
    Zwei Stunden lang raufte sich Viktor die Haare und wog die Risiken ab. Er hatte gräßliche Angst, aber diese Prüfung mußte wohl sein. Dann rief er bei Ellen im Büro an und sagte: »Ich habe heute abend Zeit, ich kann bei dem Essen dabei sein.«
    »Wunderbar« sagte Ellen, »dann kaufe ich drei Forellen.« Das Leben war schön. Das Leben war kein schlechter Witz und auch kein gemeines Märchen. In einem schlechten Witz oder einem gemeinen Märchen hätte die Frau des Hauses jetzt gesagt, sie werde drei Gazellenfilets kaufen.
    Tagsüber gab es zum Glück Ablenkung. Viktor hatte wieder einmal einen Gang ins »Amt für Migration« vor sich. Das war angenehm. Er würde »fremdenpolizeiliche Gebühren« zahlen. Damit war sein Aufenthalt im goldenen Schweizerland für die nächste Zeit gesichert – und er durfte sich trotzdem ein bißchen fremd vorkommen. Während seiner Gänge versuchte Viktor Kräfte zu sammeln, um dem abendlichen Essen gewachsen zu sein. In zehn Jahren würde er Ellen fragen, wie ihr vor diesem Essen zumute gewesen war: wie bitter, wie kämpferisch, wie ängstlich, wie souverän, wie siegesgewiß?
    Viktor trank sich Mut und Gelassenheit an. Zweifellos stand dem Haus Goldmann ein historischer Abend bevor. Wären es Geschäfte,
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