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Der Liebe eine Stimme geben

Der Liebe eine Stimme geben

Titel: Der Liebe eine Stimme geben
Autoren: Lisa Genova
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gesagt, was er zu der Karte zu sagen hat. Adrenalin schießt ihr jetzt durch die Adern, und sie schnappt sich die Karte und den Umschlag aus dem Papierkorb und stürmt aufgebracht den Flur hinunter zu der geschlossenen Badezimmertür.
    Ihre guten Manieren lassen sie innehalten, als sie die Hand auf den Türknauf legt. Sie und Jimmy sind keines dieser Paare, die Bad-Intimitäten miteinander teilen. Sie reinigt sich nicht die Zähne mit Zahnseide, während er auf der Toilette sitzt, er plaudert nicht mit ihr, während sie unter der Dusche steht, sie wechselt nicht ihren Tampon, während er sich rasiert. Normalerweise würde sie nicht hineingehen. So eine Art Ehe führen sie nicht.
    Aber was für eine Art Ehe führen sie dann? Sie drückt die Badezimmertür auf und starrt ihn an, während er über der Toilette steht.
    »Mein Gott, Beth, kannst du mir nicht eine Minute Zeit geben?«
    »Ich hätte gern eine richtige Antwort.«
    »Warte einen Augenblick.«
    »Sag mir, wer das geschickt hat.«
    »Warte.«
    Er spült die Toilette und dreht sich zu ihr um. Sie steht im Türrahmen, die Arme vor der Brust verschränkt, versperrt ihm den Ausweg. Er trägt nichts als karierte Boxershorts und seine Brille. Sein Haar ist zerzaust, seine Hände hängen schwer an den Seiten herab, und er sieht verletzlich aus, wehrlos. Ertappt.
    »Du kennst sie nicht.«
    Ihre Beine geben auf einmal nach, und sie lehnt sich gegen den Türrahmen, um nicht den Halt zu verlieren. Sie hat das Gefühl, auf Bahngleisen zu stehen, an die Schienen gekettet, während sie auf den entgegenkommenden Zug starrt, so nah, dass sie den heißen Wind seiner steten Vorwärtsbewegung auf ihrem Gesicht spüren kann.
    »Wer ist sie?«, fragt sie, jetzt etwas weniger fordernd, und mit weitaus mehr Angst, die in jedem Wort mitschwingt.
    »Sie heißt Angela.«
    Da. Er gibt es zu. Es ist wirklich wahr. Er betrügt sie mit einer Frau namens Angela. Sie kämpft gegen hereinbrechende Wellen von Schwindel und wachsender Übelkeit, während sie versucht, sich Angela vorzustellen, aber sie findet kein Gesicht dazu. Sie ist keine echte Frau, wenn sie kein Gesicht hat. Vielleicht ist es nicht wirklich wahr.
    »Angela wer?«
    »Melo.«
    Angela Melo. Es ist mitten im Winter auf einer vierzehn Meilen langen und drei Meilen breiten Insel. Jeder kennt jeden. Aber er hat recht. Angela Melo. Sie kennt sie nicht. Petra wird sie kennen.
    »Nennst du sie Angie?«
    Er seufzt und zappelt mit den Füßen, verzieht das Gesicht, als hätte sie ihn erst jetzt etwas zu Persönliches gefragt. »Ja.«
    Sie konzentriert sich auf die Leere der weiß gefliesten Wand hinter ihm, außer Stande, zu atmen. Jimmy hat Sex mit einer Frau namens Angela Melo. Angie. Er ist nackt mit ihr zusammen, küsst ihren Mund, ihre Brüste, ihr alles. Sie fragt sich, ob er ein Kondom benutzt, aber sie ist zu verlegen und angewidert von dem Gedanken, um ihn zu fragen.
    Sie geht zurück in ihr Schlafzimmer und setzt sich auf ihre Seite des Bettes, nicht sicher, was sie als Nächstes tun oder sagen oder fühlen soll. Sie wünscht, sie könnte die Uhr zurückdrehen und das hier ungeschehen machen. Wieder ins Bett kriechen, aufwachen und den Tag noch einmal von vorn anfangen. Und nicht die Post holen. Jimmy ist ihr gefolgt und steht jetzt vor ihr, wartet.
    »Wie lange schon?«, fragt sie.
    »Eine Weile.«
    »Wie lange ist eine Weile?«
    Er zögert. »Seit Juli.«
    Sie weiß nicht, was sie erwartet hat. Sie hatte sich keine bestimmten Verdächtigungen oder Szenarien in ihrer Fantasie zurechtgelegt. Ein paar gestohlene Nächte. Vielleicht einen Monat oder zwei. Seit Juli? Sie zählt die Monate in Gedanken nach. Zu viele gestohlene Nächte, als dass sie sie zählen oder sich vorstellen könnte. Tränen beginnen ihr übers Gesicht zu strömen.
    Verdammt, Beth, wein jetzt nicht. Brich nicht zusammen.
    Sie will sich nicht wie ein Opfer fühlen. Wie ein Klischee. Aber sie kann nicht anders. Sie wirft sich auf ihre Seite des Bettes und schluchzt, ohne es zu wollen, während Jimmy noch immer ein paar Schritte von ihr entfernt steht.
    »Liebst du sie?«, fragt sie. Sie würgt jedes Wort heraus, erschüttert und schwach.
    »Nein.«
    Sie betrachtet ihre Hände im Schoß, ihren Verlobungs- und ihren Ehering an ihrem Finger, Ringe, die mit Versprechen kamen, die sie nicht vor dem hier geschützt haben. Sie hat Angst davor, ihn anzuschauen, um zu sehen, ob er die Wahrheit sagt oder lügt. Er hat sie monatelang belogen, also lügt er vielleicht
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