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Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)

Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)

Titel: Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)
Autoren: Jeanette Winterson
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doch gar nicht dabei. Du warst noch nicht auf der Welt.«
    »Im Leuchtturm von Cape Wrath hat es immer einen Pew gegeben.«
    »Aber nicht denselben Pew.«
    Pew schwieg. Er setzte sich seinen Radiokopfhörer auf und bedeutete mir, aufs Meer hinauszusehen. »Da draußen ist die
McCloud
«, sagte er.
    Ich holte das Fernglas und richtete es auf ein imposantes Frachtschiff, weiß auf der schnurgeraden Linie des Horizonts.
    »Ein Geisterschiff ist das, wie’s im Buche steht.«
    »Was sind denn das für Geister?«
    »Die Geister der Vergangenheit«, sagte Pew. »Es gab mal eine Brigg namens
McCloud
, vor zweihundert Jahren gebaut, ein echtes Teufelsschiff. Als sie von der königlichen Marine versenkt wurde, schwor der Kapitän, dass er und sein Schiff eines Tages zurückkehren würden. Nichts dergleichen geschah bis zum Bau der neuen
McCloud
, und am Tag ihres Stapellaufs sahen alle am Dock, wie die zerfetzten Segel und der zertrümmerte Kiel der alten
McCloud
aus dem Rumpf der neuen auftauchten. Da steckt ein Schiff im Schiff, soviel ist gewiss.«
    »Das ist nicht gewiss.«
    »So gewiss, wie ich hier stehe.«
    Ich betrachtete die
McCloud
: schnell, turbinenbestückt, wendig, computergesteuert. Wie sollte sie in ihrem Schiffsrumpf die Sturmwinde der Vergangenheit tragen?
    »Genau wie eine russische Holzpuppe«, sagte Pew, »ein Schiff im Schiff, und in stürmischen Nächten sieht man die alte
McCloud
wie Gaze über dem oberen Deck hängen.«
    »Hast du sie schon mal gesehen?«
    »Bin mit ihr gesegelt und hab sie gesehen«, sagte Pew.
    »Wann warst du denn an Bord der neuen
McCloud
? Lag sie in Glasgow auf Trockendock?«
    »Von der neuen
McCloud
hab ich nie was gesagt«, sagte Pew.
    »Du bist keine zweihundert Jahre alt, Pew.«
    »Gewiss«, sagte Pew und blinzelte wie ein Kätzchen. »Gewiss.«
    »Miss Pinch sagt, ich soll mir von dir nichts erzählen lassen.«
    »Das liegt daran, dass sie die Gabe nicht hat.«
    »Welche Gabe?«
    »Die seherische Gabe, die mir an jenem Tag zuteil wurde, als ich blind wurde.«
    »An welchem Tag war das?«
    »Lange bevor du auf der Welt warst, obwohl ich dich übers Meer kommen sah.«
    »War es dir klar, dass ich das sein würde, ich meine, ich selbst, also speziell ich?«
    Pew lachte. »So sicher, wie ich meinen Babel Dark kannte – oder zumindest kannte jemand, der mir sehr ähnelte, jemanden, der ihm sehr ähnelte.«
    Ich schwieg. Pew konnte meine Gedanken hören. Er berührte mich auf seine merkwürdige leichte Art am Kopf, wie ein Spinnweben.
    »Es ist die Gabe. Wenn man eine Sache verliert, findet man eine neue.«
    »Miss Pinch sieht das aber anders, Miss Pinch sagt, das Leben sei ein stetiges Dunkeln zur Nacht. Das hängt als Stickerei über ihrem Ofen.«
    »Besonders optimistisch war sie noch nie.«
    »Was kannst du als Hellseher sehen?«
    »Die Vergangenheit und die Zukunft. Nur die Gegenwart liegt im Dunkeln.«
    »Aber darin leben wir doch.«
    »Mit Pew ist das anders, Kind. Eine Welle bricht sich, es folgt die nächste.«
    »Wo liegt die Gegenwart?«
    »Für dich, Kind, ringsumher wie das Meer. Für mich steht das Meer niemals still, es ist ständig in Bewegung. Ich habe nie an Land gelebt und kann nicht sagen, was nun dieses sei oder jenes. Ich kann nur sagen, was verebbt und was im Werden begriffen ist.«
    »Was verebbt?«
    »Mein Leben.«
    »Was ist im Werden begriffen?«
    »Dein Leben. Du wirst der nächste Wärter sein.«
Erzähl mir eine Geschichte, Pew.
     
     
    Was für eine Geschichte, Kind?
    Eine Geschichte, die ein gutes Ende nimmt.
    So etwas gibt es nirgendwo auf der ganzen Welt.
    Es gibt keine Geschichte, die ein gutes Ende nimmt?
    Es gibt keine Geschichte, die ein Ende nimmt.

Um der Sache ein Ende zu setzen, hatte Dark beschlossen, zu heiraten.
    Seine neue Frau war sanftmütig, belesen, anspruchslos und in ihn verliebt. Er war nicht im Geringsten in sie verliebt, doch das war seiner Ansicht nach nur von Vorteil.
    Sie wollten beide hart arbeiten in ihrer Gemeinde, die von Hafer und Schellfisch lebte. Er wollte sich seinen Weg bahnen, und wenn ihm die Hände dabei bluteten, umso besser.
    Sang- und klanglos wurden sie in der Kirche von Salts getraut, und sofort erkrankte Dark. Die Flitterwochen mussten verschoben werden, doch seine neue Frau, die Zärtlichkeit und Fürsorge in Person, machte ihm jeden Tag eigenhändig das Frühstück, obwohl sie dafür ein Dienstmädchen hatte.
    Bald schon graute ihm vor den zögerlichen Schritten auf der Treppe zu seinem Zimmer mit
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