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Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)

Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)

Titel: Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)
Autoren: Jeanette Winterson
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nichts.
    Wenn er mit dem Gesicht nach oben in seiner Unterwasserhöhle trieb, traf ihn bisweilen eine so leuchtende Erinnerung wie ein Schwerthieb mit flacher Klinge, dass sich das Wasser teilte, und er spürte, wie sein Gesicht nach oben rauschte, und er schnappte gierig nach Luft, und rings um ihn war Nacht und auf dem Wasser lagen Sterne. Er trat mit den Füßen danach. Er war von Sternen übersät.
    Das Wasser lief ihm übers Gesicht, seine Haare strömten zurück. Er starb nicht mehr. Sie war da. Sie war zurückgekommen.
    Das Seepferdchen lag in seiner Tasche. Zerbrechlicher Held der Zeit. Eine letzte Reise stand ihm bevor.
    Sie wateten hinaus, sie schwammen, sie schwammen in den Lichtkegel, der hinabsank wie ein gefallener Stern. Der Lichtschaft war tiefer, als er gedacht hätte, wies ihm den Weg auf den Grund der Erde. Jetzt war sein Körper gewichtslos. Sein Kopf war klar. Er würde sie finden.
    Er ließ das Seepferdchen frei. Er streckte die Hände aus.
Erzähl mir eine Geschichte, Silver.
    Welche Geschichte?
    Diese.

Halb zerbrochen, halb ganz, fängt man wieder von vorne an.
    Pflichtschuldig ging die Gruppe im Gänsemarsch die Treppe hinunter. Der Führer blickte zurück, um sich zu vergewissern, dass wir alle nachkamen, und in dem Augenblick, als er wieder nach vorne sah, nahm ich meinen kleinen silbernen Schlüssel und öffnete die Tür zu unserer Küche.
    Leise schloss ich sie und drehte hinter mir den Schlüssel um. Aus der Ferne hörte ich, wie der Führer den Leuchtturm zusperrte.
    Einer nach dem anderen hatten wir einen Blick hineinwerfen dürfen in die improvisierte Küche, wo Pew und ich Unmengen von Würstchen verspeist hatten. Der eingedellte Messingkessel stand unpoliert auf dem Holzofen. Der Windsorstuhl, in dem Pew immer saß, stand in der Ecke. Mein Hocker stand säuberlich an der Wand.
    »Es war ein schweres und einsames Leben«, hatte der Führer gesagt, »mit wenig Komfort.«
    »Wie haben sie auf dem Ding bloß gekocht?«, fragte einer. »Als wäre eine Mikrowelle ein Garant für Glück«, sagte ich bissig.
    Alle schauten mich böse an.
    Es war mir gleich. Ich hatte einen Plan.
    Der Leuchtturm war zweimal im Jahr für die Öffentlichkeit zugänglich. Endlich, unwillkürlich, war ich zurückgekehrt.
    Jetzt, während ich dem Dieselmotor des abfahrenden Reisebusses lauschte, war ich allein. Es hätte mich kaum gewundert, wenn HundJim durch die Tür getrottet wäre.
    Ich zog den Hocker hervor und setzte mich. Wie still es war ohne das Ticken der Uhr. Ich stand auf, öffnete die Schublade unter dem Zifferblatt, nahm den Schlüssel und zog die Feder auf. Tick, tick, tick. Schon besser – viel besser. Die Zeit hatte wieder angefangen.
    Der Herd war am Griff verrostet. Mühsam zog ich ihn auf und sah hinein. Vor genau zwanzig Jahren war ich frühmorgens aufgestanden, um den Ofen zu befeuern, wie ich es immer tat. Das Feuer war noch da, es brannte nicht, aber es war noch da. Ich drehte am Hahn, um den Abzug zu öffnen. Staub und Rost rieselten mir entgegen, aber der Luftzug sagte mir, dass der Abzug frei war. Mit einem Streichholz steckte ich Anzünder und Papier an. Bald loderten die Flammen. Ich schnappte mir den Kessel, als er in der Hitze allmählich vor sich hin dampfte. Ich schwenkte ihn mit Wasser aus, füllte ihn und brühte mir eine Kanne zwanzig Jahre alten Full Strength Samson auf.
    Das Licht wurde schwächer, verblasste, wurde beinahe durchsichtig. Der Tag war durchgewetzt und die Sterne traten hervor.
    Ich nahm meine Tasse Tee und kletterte an Pews Zimmer vorbei zum Kontrollraum, und dann trat ich hinaus auf die Plattform, die den Leuchtturm umfing.
    Ich lehnte mich gegen das Geländer und sah hinaus. Alle vier Minuten blitzte das Feuer, ein einzelner heller Strahl, weithin sichtbar übers Meer und auch über das Meer der Zeit.
    Dieses Licht hatte ich oft gesehen. Während ich an Land war, als Gefangene des Landes durch die Jahre segelte, ohne genaue Kenntnis meiner Position, war das Leuchtfeuer gewesen, was Pew versprochen hatte – Meilenstein, Wegweiser, Trost und Warnung.
    Dann entdeckte ich ihn. Pew in seinem blauen Boot.
    »Pew! Pew!«
     
    Er hob die Hand, und ich rannte die Stufen hinunter und bis ans Ende der Mole, und da war er und befestigte die Fangleine wie immer, die unförmige Mütze über die Augen gezogen.
    »Ich hatte mich schon gefragt, wann du endlich auftauchen würdest«, sagte er.
     
    Pew: Einhorn. Quecksilber. Linsen. Hebel. Geschichten. Leuchtfeuer.
    Am Cape
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