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Der letzte Werwolf

Der letzte Werwolf

Titel: Der letzte Werwolf
Autoren: Glen Duncan
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Oxford–Didcot nördlich von Abingdon, durchschwamm die eisige Themse, rannte östlich durch die Chiltern Hills fast bis zur Straße nach London. In jener Woche verdrängte gerade das idiotische ›Help!‹ der Beatles ›Mr. Tambourine Man‹ von den Byrds von Platz Eins der Hitparade. Beide Songs kreisten mir nervtötend durch den Kopf wie zwei lästige Fliegen. Das kommt vom Hunger, er stürzt sich auf ein willkürliches Detail und verwandelt es in eine Anrufung, ein Totem, eine endlose Litanei, die einen schier in den Wahnsinn treibt. Schließlich holte ich mir dann ein Opfer und fraß. Am Rande des Dörfchens Checkendon stand ein an Schlaflosigkeit leidender alter Knacker in seinem Hintergarten, qualmte eine Selbstgedrehte und sah hinaus in seinen vom Mond beschienenen Gemüsegarten. Als ich ihn umhaute, schnappte er noch einmal kurz nach Luft, aber das war auch schon alles, was er von sich gab. Er hatte die Somme überlebt, in Ostende einen Mann im Streit umgebracht, den Frieden entdeckt, wenn man auf eigenem Boden Gemüse anbaut, das merkwürdige Wunder der Wurzeln, die man aus dem Boden zieht. Die Liebe, damals, war eine dürre Kellnerin in einem Tea-Shop in Margate gewesen, eine junge Frau mit dunklen Korkenzieherlöckchen, die ihn in einen geradezu Lawrence’schen Blutdämmer der Gewissheit versetzt hatte. Sie waren drei Monate lang miteinander ausgegangen und hatten sich in der Nacht, bevor er zu seinem Regiment stieß, im absichtlich freien Zimmer eines Freundes bei offenem Fenster und dem Geruch des Meeres lang und verträumt geliebt. Dann der Krieg und die entsetzliche Gewöhnlichkeit des Schreckens. Überall lagen Gliedmaßen herum wie große Puppenteile. Man verliert so manches. Er hatte die anderen sagen hören:
Er ist nicht mehr der Alte
. Seine Libido blieb eine Kreatur ausgelassener Verschlagenheit: ein Stapel angestaubter Schmuddelhefte hinter den Teeröldosen im Schuppen, eine blasphemische Erektion neulich, als er eines seiner Enkelkinder auf dem Schoß hielt, selbst Nells alter fetter Hintern, auch nach all diesen Jahren noch Wasser auf die Mühle der Schamlosigkeit. Der liebe Gott konnte ihn mal, nach allem, was er gesehen hatte, Jones’ Kopf, der den Schützengraben entlangkullerte, Sterne, mit den Maden im Fuß, wo früher mal die Zehen gewesen waren –
    Ich ließ seine sterblichen Überreste zwischen den blutigen Kohlköpfen zurück, schlich aus dem Dorf zurück in die Wälder. Eine Stunde nach dem Fressen überkam mich Abscheu, doch die Jahre hatten sie zu einer höflich-schweren Umarmung verkommen lassen. Abscheu bringt keinen um. Einsamkeit hingegen …
    Eine Stunde vor Sonnenaufgang machte ich bei Wayland’s Smithy Rast und sah mich um. Eigentlich war das nicht die rechte Zeit, um Rast zu machen und sich umzusehen. Das Farmhaus (zu jenem Zeitpunkt mein Zuhause) war noch eine Meile entfernt, und es gab nur wenig Deckung. Diese höheren Lagen waren das ganze Jahr über wallhallschen Winden ausgeliefert. Es gab nur wenige Bäume. Die Hecken waren spärlich. Ich brauchte Dunkelheit, zumindest Dämmerlicht, um ungesehen nach Hause zu kommen. Trotzdem. Hier standen die prähistorischen Steine und brachten gewisse Empfindungen zum Ausdruck. Die Luft war stickig vor menschlichem Gestank, ein Schnattern voller Ur-Energien lag darin. In der Nähe stand ein Cortina. Meine Haut dampfte. Das letzte bisschen Leben meines Opfers fand in mir Einlass.
    Am Eingang zu dem Grab – ein langgezogenes Rechteck tieferer Dunkelheit zwischen aufrecht stehenden Sarsensteinen – waren zwei Männer in eine Angelegenheit vertieft, die ich nicht sehen konnte. Ein dritter Mann hielt an der Stelle Wache, wo die Bäume den Weg zur Straße freigaben.
    »Terry«, zischte der Dritte, »
ich
sollte die Fackel halten. Es ist stockfinster hier drüben.«
    Die Machtverhältnisse waren klar. ›Terry‹, Mitte dreißig und vielleicht zehn Jahre älter als die anderen beiden, war der Chef. Er trug die Fackel. Der Lichtstrahl schwang zu der Wache hinüber – ein schmaläugiges, knabenhaftes Gesicht, blonde Haare, eine Hand zum Schutz vor dem grellen Licht erhoben – und kehrte dann mit bestürzender Präzision zum Objekt der Handlungen zurück.
    »Arschficker«, sagte Terrys naher Begleiter leise. »Wahrscheinlich macht ihm das auch noch Spaß.«
    »Hol ihn da raus«, forderte Terry. »Na komm, Hündchen, raus mit dir.«
    »He, du Popo-Prinz, zack-zack.«
    »Er ist … hilf mal, Dez.«
    Terry und Dez zerrten ihr Opfer
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