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Der letzte Vorhang

Der letzte Vorhang

Titel: Der letzte Vorhang
Autoren: Annette Meyers
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Mort meint, sie sollten
etwas mehr Schmiß haben, deshalb ersetzt er Bambus durch Neonstäbe.«
    »Hat er sich mit Carlos abgesprochen? Ich hoffe
doch. Carlos ist der Co-Regisseur.«
    Es herrschte Totenstille. »Ich richte es Mort
aus, Leslie.«
     
    Wetzon hielt einen Augenblick lang die Luft an.
Der Raum begann sich zu drehen.
    »Les?« Silvestri langte über den wirbelnden Tisch,
während besorgte Falten auf seinem Gesicht erschienen. »Das war ein dummer
Einfall, Nina. Stecken Sie die Fotos weg, und vergessen wir das Ganze.«
    Wetzon blinzelte, um ihn deutlich sehen zu
können. Er verkündete: »Ich bin gleich zurück«, dann stand er auf und ging in
den vorderen Raum.
    Nina griff nach den Fotografien. Mit einem Ruck
hörte der Raum auf, sich zu drehen, und Wetzon legte die flache Hand auf die
Bilder. »Nein, warten Sie.«
    »Geht es wieder?« fragte Nina. »Sie sind so
bleich wie das Tischtuch hier geworden.«
    Wetzon nickte. »Ich weiß nicht, was passiert
ist. Es war, als wäre jemand über mein Grab gegangen...«
    »Ich dachte, vielleicht hätten Sie...«
    »...sie gekannt?«
    Nina nickte.
    »Nach ihren Knochen? Ist das nicht ein wenig
weit hergeholt?«
    »Mag sein.«
    Silvestri stellte ein Gläschen Hochprozentigen
vor sie. »Trink einen Schluck«, befahl er.
    Wetzon schielte zu ihm hoch. Er leckte unbewußt
einen Tropfen von dem Glas an seinem Finger ab. »Es geht mir gut.«
    »Trink«, sagte er. »Keine Debatten.«
    Sie sah Nina vielsagend an und nahm einen
Schluck. Purer Malzwhisky. Sie behielt die Flüssigkeit im Mund, kostete sie,
ließ dann ihre Wärme durch die Kehle gleiten.
    Zufrieden setzte sich Silvestri. »He...« Er
hatte bemerkt, daß die Fotos noch auf dem Tisch lagen.
    »Sie möchte sie betrachten«, erklärte Nina.
    »Ich möchte sie betrachten«, bestätigte Wetzon.
Sie vertauschte den Scotch mit Kaffee und bedachte Silvestri mit einem scharfen
Blick, der besagte: Schreibe mir nicht vor, was ich zu tun habe. Aber sie schaute
nicht auf die Fotos unter ihrer Hand. Sie konnte nicht. Noch nicht. »Erzählen
Sie, was Sie von ihr wissen. Woher wissen Sie, daß es eine Frau ist?«
    »Na ja...« Nina sah Silvestri an, der die
Schultern zuckte. »Frauen haben glattere Brauenbögen, und das Becken ist
breiter als bei einem Mann. Wir bestimmen als erstes das Geschlecht, dann die
Rasse — sie ist weiß — , dann die Statur. Die Weisheitszähne waren vorhanden
und kaum abgenutzt. Danach war sie zwischen vier- und siebenundzwanzig, als sie
starb, aber die Verwesung war sehr stark, so daß wir kein weiches Gewebe
untersuchen konnten. Zum Glück war der Keller trocken; es gab keinen Hinweis
auf Feuchtigkeitsschäden, und der Schrankkoffer, in dem sie gefunden wurde, war
nicht porös.«
    »Du lieber Himmel«, murmelte Wetzon.
    Silvestri schob ihr den Scotch hin, und sie
leerte das Glas ohne Widerrede.
    »Habe ich richtig gehört, Nina, ein Schrankkoffer ?«
    Nina sah Silvestri an.
    Er langte über den Tisch und zog die Fotos unter
Wetzons Hand hervor, dann blätterte er sie durch, bis er die gesuchten gefunden
hatte. Er hielt sie nebeneinander: »Vor sechs Monaten wurde dieses Wohnhaus an
der Ecke Eleventh und Hudson von einem Architekten und seiner Frau gekauft. Es
gab einen Mieter in einer Maisonettewohnung in den zwei oberen Stockwerken. Sie
begannen, die drei unteren für eine Dreietagenwohnung zu renovieren. Der
Schrankkoffer befand sich im Keller mit einer Menge sonstigem Gerümpel, das
frühere Mieter zurückgelassen hatten.« Er hielt die Fotografie eines großen
schwarzen Metallkoffers mit Messingecken hoch, so ähnlich wie der, mit dem
Wetzon das College bezogen hatte, nur kam dieser ihr sogar noch bekannter vor;
es waren Aufkleber von einer Tourneetruppe darauf. Sie erkannte Cabaret,
West Side Story und andere Musicals.
    Silvestri schob ein anderes Foto über das mit
dem Schrankkoffer. Die gleiche Ansicht, nur daß der Koffer jetzt geöffnet war.
    Sie starrte auf einen Schädel über einem
Durcheinander von Knochen. An einigen hafteten Stoffetzen, die aussahen, als
wären es vielleicht einmal Jeans gewesen. Der Schädel war mit stumpfem goldenem
Haar bedeckt.
    »Sie hatte blondes Haar?« Für die eigenen Ohren
klang Wetzon gelassen und professionell, aber im Innern spürte sie Angst und eine
sonderbare Verwandtschaft mit der Frau, vielleicht weil auch Wetzons Becken und
Zehen wahrscheinlich irgendwelche Streßsymptome aufwiesen.
    Nina sagte: »Ja, aber nicht diese Farbe.«
    »Kaum zu glauben,
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