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Der letzte Tiger

Der letzte Tiger

Titel: Der letzte Tiger
Autoren: Nora Luttmer
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Hanoier Polizei eingerichtet worden war, um den illegalen Handel mit Tierenund Pflanzen einzudämmen. Oder zumindest, wie Ly vermutete, um den guten Willen dazu vorzutäuschen.
    Die Hände in den Hosentaschen stieg Tu über das Absperrband und ging auf Dr. Quang zu. Ly kannte Tu nur aus mit tinh s, hatte jedoch noch nie mehr mit ihm zu tun gehabt. Aber ihn störte dessen offensichtliche Arroganz. Tu war einer dieser jungen Städter aus besserem Haus. Um die dreißig, sehr ehrgeizig, gut ausgebildet, Auslandsstudium in Australien. Er trug tief sitzende Jeans mit breiten Gürteln und T-Shirts mit irgendwelchen englischen Sprüchen, die Ly nicht verstand. Die kurzen Haare hatte er zu Stacheln gegelt. Seine Zähne waren makellos. Keine Spur von zu viel grünem Tee oder Zigaretten.
    Ly drängte sich durch die Menge der Schaulustigen und ging zurück zu seiner Vespa, die er unter den Bäumen auf der anderen Straßenseite abgestellt hatte. Er tastete seine Hosentaschen nach dem Schlüssel ab, bis er sah, dass er noch steckte. Wieder startete die Vespa nicht sofort, und der Kickstarter haute Ly in die Achillessehne. Er fluchte. Er würde das alte Teil doch noch mal verschrotten oder es an einen Ausländer verhökern, der Lust hatte, es von Grund auf zu restaurieren.
    *
    Eine halbe Stunde später grüßte Ly den alten Pförtner, der vor dem Eingang zum Präsidium stand, einem ockergelben Bau aus der französischen Kolonialzeit mit bodentiefen Fenstern und grünen Lamellenjalousien.
    Mit schweren Schritten stieg Ly die Treppe in den zweiten Stock hinauf und ging durch den langen kahlen Gang.Seine Schritte hallten hohl auf dem Steinboden. Die Tür zum Büro seiner Assistentin stand offen.
    »Hallo, Ly, so spät?«, rief Lan ihm zu, schob sich die langen Haare hinter die Ohren und kickte ihre Pumps, die sie abgestreift hatte, unter den Schreibtisch. »Kaffee?«
    Ly mochte den Kaffee aus Lans Filtermaschine nicht besonders, trotzdem nahm er dankend an. Solange Koffein drin war, war ihm heute alles recht.
    »Irgendetwas Neues bei dir?«, fragte er.
    »Ich schreibe noch die Berichte für den Fall draußen in Gia Lam fertig. Ansonsten gibt es nicht viel zu tun.« Sie sah ihn mit hochgezogenen Brauen an. »Und bei dir? Du siehst nicht gut aus.«
    Ly erzählte Lan vom Tod seines Freundes Truong und dass er in dem Fall ermitteln wollte. Lan hatte Tränen in den Augen, während sie zuhörte. Ly fragte sich, wieso. Sie hatte Truong doch gar nicht persönlich gekannt.
    Ly schenkte sich Kaffee nach und ging über den Gang in sein Büro hinüber. Er streute Trockenfutter ins Aquarium und sah zu, wie die blau-rot gestreiften Zwergfadenfische, die er gerade neu gekauft hatte, mit weit aufgerissenen Mäulern an die Wasseroberfläche stieben. Seine Fische waren das einzig Persönliche im Raum. Der Rest gehörte zur Standardausstattung. Sofa und Sessel aus schwarzem Kunstleder, Beistelltisch, Aktenschrank, Schreibtisch, Holzstühle. Die kahlen Wände waren türkisgrün getüncht wie die Wände in allen öffentlichen Gebäuden des Landes.
    Ly ließ sich in einen der Sessel sinken und rief Dr. Quang an, der immer noch draußen am Literaturtempel beschäftigt war. Eigentlich hätte er ihn gleich vorhin nochmal auf Truong ansprechen sollen. Aber da hatte sein Kopf noch zu sehr gedröhnt, und dieser Tiger hatte ihn völlig durcheinandergebracht.
    »Bist du wirklich sicher, dass Truongs Tod ein Unfall war?«, fragte Ly.
    »Es war ein Stromschlag. Wie er zustande kam, kann ich nicht sagen.«
    »Du meinst also, es könnte auch Mord gewesen sein?«
    »Möglich ist alles. Und …«
    »Und was?«, fragte Ly.
    »Bei dem Regen fällt ein tödlicher Stromschlag mehr oder weniger nicht auf.«
    Dr. Quang hatte recht, dachte Ly. Strom war bei diesem Wetter vermutlich wirklich die beste Art, jemanden unauffällig zu beseitigen.
    Er holte sich noch einen Kaffee, wobei er Lans Kanne leer machte, und rief Do Van Dang an, den Leiter der Spurensicherung. »Ly hier. Ich brauche den Bericht zu Le Ngoc Truong.«
    »Le Ngoc Truong?« Dang schien einen Moment zu überlegen. »Nein. Da haben wir nichts.«
    »Gestern. Ngo-Quyen-Straße. Ein Stromschlag.«
    »Bei Unfällen werden wir nicht gerufen«, sagte Dang.
    »Woher willst du wissen, dass es ein Unfall war?«
    »Stromschläge sind bei so einem Hochwasser wie dem letzten an der Tagesordnung.«
    »Na bestens, dann verpasse ich meiner nervigen Nachbarin einen Stromschlag, und keiner untersucht’s? Toll. Gut zu
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