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Der letzte Tag der Unschuld

Der letzte Tag der Unschuld

Titel: Der letzte Tag der Unschuld
Autoren: Edney Silvestre
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wegzukommen. Er hat Anita an der Bluse gepackt, und die ist zerrissen. Renato hat sie wieder geschlagen. Sie ist hingefallen, aber gleich wieder aufgestanden. Ich glaube, sie hat geweint. Dann weiß ich nur noch, dass sie weggelaufen ist. Sie ist zum See gerannt, und Renato ist hinter ihr hergelaufen. Ich auch. Wir sind alle drei gerannt. Dann ist sie gestolpert und hingefallen.«
    »Da am See hast du Anita umgebracht! Ich habe gehört, wie du es Papa erzählt hast! Und dann habt ihr Doktor Andrade gezwungen zu gestehen, dass er es war!«
    »Wir haben uns über Anita gebeugt. Ich habe sie gepackt und ihre Arme festgehalten. Renato hat das Messer genommen. Ich habe nicht gesehen, wie oft er zugestochen hat. Es musste sein, Cecília. Wir hätten keine Ruhe gehabt, solange diese Frau am Leben war. Renato hat getan, was nötig war.«
    Die dunkle Pfütze, die aus Renatos Körper rann, wuchs, bis sie Ubiratans Schuhe erreichte. Er bat:
    »Cecília, geben Sie mir die Waffe.«
    »Halt den Mund, Alter!«
    »Es hat schon zu viele Tote gegeben, Cecília. Zu viel Schmerz. Geben Sie mir die Pistole.«
    »Komm mir nicht zu nahe«, schrie sie und zielte auf Ubiratans Stirn.
    »Um Gottes willen, Herzchen.«
    »Halt den Mund! Du kommst auch noch dran! Ich habe ihn getötet, und jetzt töte ich dich!«
    »Kind …«
    »Komm nicht näher! Bleib, wo du bist!«
    »Ruhig, Herzchen, ganz ruhig. Du kannst ihm die Waffe geben. Mach dir keine Sorgen wegen dem, was hier passiert ist. Wir sagen einfach, es sei Notwehr gewesen. Wir sagen, Renato hätte dich entführt und wollte dich vergewaltigen. So machen wir es. Er hat versucht, dich zu vergewaltigen, und da hast du dir seine Waffe geschnappt und abgedrückt. Zur Verteidigung deiner Ehre. So war es. Das ist die Erklärung. Oder wir sagen, ich hätte geschossen. Ich hätte herausgefunden, was passiert ist, und wäre mit dem Revolver deines Vaters hergekommen. Das ist egal. Mal sehen, welche Verteidigungsstrategie den Rechtsanwälten deines Vaters besser gefällt.«
    »Ich habe Renato geliebt!«
    »Wir brauchen gar keinen Rechtsanwalt! Das haben wir gar nicht nötig. Dein Vater wird das alles regeln, Herzchen. Er lässt Renatos Leiche verschwinden. Renato hat niemanden. Niemand wird ihn vermisst melden, Herzchen, niemand!«
    »Ich habe Renato geliebt!«
    »Geben Sie mir die Pistole, Cecília«, sagte Ubiratan sanft und ging auf sie zu.
    »Nimm den Revolver herunter, Kind. Dein Vater wird dafür sorgen, dass …«
    »Du bist schuld! Ich habe auf dich geschossen und nicht auf ihn! Er hat sich vor dich geworfen! Um dich zu beschützen!«
    »Bitte, Cecília, Liebes, Herzchen, nimm den Revolver runter.«
    »Eine Kugel ist noch drin! Ich bringe einen von euch beiden um!«
    »Geben Sie mir die Waffe, Cecília …«
    »Schätzchen, Liebes …«
    »Der Revolver, Cecília. Geben Sie ihn her.«
    »Seid still, alle beide!«
    »Bitte, geben Sie mir …«
    »Bleib mir vom Hals, Alter!«
    »Geben Sie mir …«
    »Keinen Schritt weiter! Sonst knalle ich die Schlampe ab!«
    Isabel brach in Tränen aus.
    »Nein, Herzchen, bitte nicht«, bat sie voller Angst, »bitte schieß nicht, bring mich nicht um, Cecília, Liebes …«
    »Geben Sie mir den Revolver. Bitte.«
    »Ich bringe sie um!«
    Isabel weinte lauter.
    »Nein, Herzchen, nein!«
    Nun schluchzte sie hemmungslos. Cecília richtete die Waffe auf ihre Mutter.
    »Ich bringe diese Schlampe um!«
    »Cecília, geben Sie mir den Revolver.«
    »Nein, Liebling! Nein, nein, nein!«, flehte Isabel und hob die Arme vors Gesicht.
    »Geben Sie mir …«, wiederholte Ubiratan, inzwischen so nah, dass er den Revolver greifen konnte.
    Cecília wich zurück und schoss die letzte Kugel ab.

13
    São Paulo, 28. Februar 2002
    Das Telefon klingelte zwei, drei, acht, fünfzehn Mal, dann gab er auf und hängte ein. Auf der Bettkante sitzend überlegte er kurz, was noch in den Handkoffer musste. Nicht viel: Wäsche zum Wechseln, der Bericht des brasilianischen Zulieferers, der Laptop, ein paar Disketten und C D s. Rasierzeug. Kulturbeutel. Den Mantel würde er über den Arm nehmen, den Schal in den Ärmel gesteckt, die Handschuhe in die Taschen. In Paris, seinem ersten Zwischenstopp, war es kalt und noch kälter in Genf, wo er den Zug zurück nach Lausanne nehmen würde, seinem endgültigen Ziel. Während des Flugs hatte er nicht vor zu arbeiten. Er war müde von vier Tagen Sitzungen und endlosem Hin und Her in der ewig verstopften Stadt, er wollte schlafen und würde eine
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