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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht begreifen konnte. Die Wahrheit, die Sterben hieß.
    Georghe Brinse war zwei Wochen lang jeden Tag in die Berge gestiegen, in der Hoffnung, die kleine Gruppe noch einmal zu treffen. Aber er fand nur einen leeren Weinkrug, den er in den Steinen zerschellte, damit er nicht Sonja verriet. Am vierten Tag sah er unter einem Stein einen durchgeeiterten Verband. Es war ein Verband, den er dem Jungen mitgegeben hatte. »Er wird nicht weit kommen«, sagte Georghe Brinse, als er den Verband sah. Und er hätte es nicht geglaubt, wenn man ihm erzählt hätte, daß zu dieser Stunde der Junge mit den offenen Füßen schon achtzig Kilometer weiter im Gras lag und an den Resten der Wurst kaute, die Sonja mitgebracht hatte.
    Einmal sprach er mit dem alten Patrascu darüber.
    »Deutsche Soldaten?« fragte der Alte mißtrauisch. »Ich weiß gar nicht, wovon Sie sprechen, Genosse Brinse. Es mag sein, daß hier Deutsche durchgekommen sind. Es ist ja noch Krieg in der Welt. Da sieht man vieles auf den Straßen …«
    Im November wurde die Miliz in Tanescu abgelöst. Aus Bacau, der nächsten Stadt, kamen zwanzig junge Männer als Ersatz. Sie bezogen ein neues Haus, das man extra für sie gebaut hatte. Eine Milizstation mit einem Saal, der russischen Stolowaja ähnlich, in der man Parteiabende, Schulungsstunden, Dorf- und Gemeindewahlen, Staatsfeiern und ähnliches abhalten wollte.
    Mit den zwanzig Männern, die noch in der Ausbildung standen, kam auch Stepan Mormeth nach Tanescu. Ein feuriger, schwarzhaariger Zigeuner mit glühenden Augen, der mit der Zunge schnalzte, wenn er schönen Mädchen begegnete.
    Er schnalzte auch, als er Sonja sah.
    Die ›Villa Bergfrieden‹, wie Hans Bornemann die Höhle nannte, wuchs schneller, als man es sich gedacht hatte.
    Anton Haindl entwickelte ungeahnte Fähigkeiten. Er setzte aus geschälten Holzstämmen Quer- und Längswände in die lange Höhle, baute aus Steinen, Holz und dicken Rinden weiche Betten, die er mit Reisig und getrockneten Farnen belegte. In der Nähe des Einganges – wegen des Luftzuges – mauerte Kleinhans einen Herd aus Steinen und Lehm. Als Kochplatte nahm man den Deckel einer eisernen Handgranatenkiste, den der Haindl seit vier Wochen mit sich herumschleppte und alle Qualen auf sich genommen hatte, dieses wertvolle Stück der Küchenausrüstung zu retten.
    In den langen Abendstunden, wenn sie alle um das Feuer saßen, eng zusammengerückt, weil die Wärme des Ofens in der großen Höhle sich verflüchtigte, gab Vera Mocanu rumänischen Sprachunterricht.
    »Ihrr müßt können Landessprache«, sagte sie. »Es kann dauern Jahre, bis ihr kommt nach Deitschland.«
    »Das fürchte ich auch.« Kleinhans sah hinaus in den Schnee, der lautlos in dicken Flocken aus dem Nachthimmel herabrieselte und das Gebirge, die Täler, die Felder, die Dörfer und die Menschen in nasse Watte packte. »Vielleicht ist der Krieg längst zu Ende, und wir wissen's gar nicht und könnten frei nach Hause.«
    »Barfuß tat i lauf'n!« sagte der Haindl Toni.
    »Es ist noch Krieg.« Vera Mocanu nahm den leeren Sack aus der Ecke und legte ihn über den linken Arm. »Vor drei Tagen war noch Krieg. Warum soll es heute anders sein? Ich gehe jetzt ins Tal.«
    Die vier Männer nickten. Es war selbstverständlich, daß Vera ging. Sie konnte mit den Bauern reden, sie war eine Frau, der man eine Bitte um Nahrungsmittel und ähnliches nicht abschlug.
    Michael Peters ging ein Stück mit durch den Wald. Sein langer Kradmantel schleifte durch den Schnee. Als die Felsen niedriger wurden und die Schluchten breiter, blieben sie stehen.
    »Geh jetzt zurück«, sagte Vera und drückte seinen Arm.
    »Soll ich dich nicht begleiten? Wenn eine Streife kommt … oder du fällst … oder …« Er stockte und war dankbar, daß es dunkel war. So sah Vera nicht, wie er rot geworden war.
    »Kehr um, Micha«, sagte Vera Mocanu. Ein mütterlicher Ton war in ihrer Stimme, der Peters aufregte. »Gegen Morgen bin ich wieder zurück.«
    »Ich komme dir entgegen, Vera …«
    Sie nickte, drückte noch einmal seinen Arm und rannte dann durch den Wald ins Tal hinab. Er hörte ihre Schritte nicht, der tiefe Schnee sog sie auf. Nicht einmal ein Knirschen war es … sie schien zu schweben.
    Die ganze Nacht durch sammelte Vera in den einsamen Höfen am Rande Tanescus Lebensmittel und Wein. Sogar einen Pelz erhielt sie. Eine langhaarige, zottelige Pelzjacke, die sie sofort anzog und die in wenigen Minuten ihre erstarrten Glieder aufwärmte. Die
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