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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf
Autoren: Heinz G. Konsalik
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alles nur Pläne, Worte, die einen selbst beruhigen sollten, Worte, um die Angst und die Trostlosigkeit zu dämpfen, die jeden befiel, wenn er die Augen schloß und die Karte Rumäniens und Europas vor sich sah. Irgendwo … da hinten in der Ferne … lag Deutschland. Und zwischen dieses Deutschland und die Karpaten hatte sich eine ganze russische Armee geschoben. Ein Riegel aus hunderttausend Leibern, den fünf arme, halbverhungerte Menschen durchbrechen wollten.
    Im Oktober kamen die ersten kalten Nächte. Frost fiel klirrend von den Felsgipfeln in die Höhlen, in denen die fünf sich verkrochen. Die Bäume waren am Morgen weiß … und nachts hörten sie zum erstenmal in all den Monaten das Heulen der Wölfe. Noch fern, nicht als Hungergeschrei, sondern als Triumphgeheul über der geschlagenen Beute.
    Anton Haindl fuhr zusammen, als er das Heulen zum erstenmal hörte. »Wölfe!« flüsterte er, als könne seine Stimme sie anlocken.
    »Sie kommen jetzt aus der Einsamkeit bis an die Dörfer heran.« Vera Mocanu lauschte auf das ferne Heulen. »Man braucht ihnen nur nachzugehen, um zu wissen, wo es etwas zu essen gibt. Solange die Wölfe uns voranheulen, werden wir nicht verhungern …«
    »Und wenn man sie jagt, jagt man auch uns!« sagte Kleinhans bitter.
    Als der erste Schnee fiel, stießen sie wie durch eine gütige Fügung des Schicksals auf eine verlassene deutsche Stellung. Es mußte eine Stellung sein, die erst vor ein paar Wochen ausgehoben worden war. Das Lager einer versprengten deutschen Gruppe, die sich hier eingeigelt hatte und vielleicht von einer starken Streife überfallen worden war.
    Tote sahen sie nicht mehr … aber zwei zerstörte Motorräder lagen in einer Mulde, zerbrochene Gewehre, Munition in Kästen, sieben Handgranaten, MG-Gurte, zehn Magazine für Maschinenpistolen und ein langer Kraftfahrermantel, der berühmte deutsche ›Kutschermantel‹ mit der großen Pelerine.
    Michael fand ihn in den Felsen, in eine Spalte gestopft, als wollte der Träger ihn noch verbergen, als die Streife kam. Er zog ihn heraus, glättete ihn auf der Erde und untersuchte die Taschen nach Anhaltspunkten. Er fand einen Zettel mit einer Feldpostnummer und das Stück einer zerrissenen Karte vom Prut. Sonst nichts. Da zog er den langen Mantel an und fühlte sich plötzlich herrlich warm.
    Von dem, was sie in dem ausgehobenen Lager noch fanden, konnten sich alle kleiden und für zwei Monate verpflegen, wenn sie weiter das Essen so einteilten, daß sie nahe an der Schwäche des Verhungerns vorbeikamen. Haindl fand sogar eine Postkarte aus den Alpen. Sie war zwar aus Berchtesgaden, aber der Anblick der bizarren Bergkette im Hintergrund ergriff ihn so stark, daß er losheulte wie ein kleines Kind.
    In diesen Wochen und Monaten war Vera Mocanu die einzige Verbindung zur Außenwelt, zu den Bergbauern der Karpaten und zu den kleinen Dörfern, an denen der Krieg vorbeigezogen war, ohne Spuren zu hinterlassen außer Hammer und Sichel an der Tür des Dorfältesten oder einen roten Stern auf der Mütze eines Polizisten, der plötzlich allgewaltig war und direkt Bukarest oder Moskau unterstand. Er war eiligst von einem politischen Kommissar der Sowjets vereidigt und angeschrien worden: »Du bist verantwortlich für Ruhe und Ordnung im Dorf! Und dafür, daß alle gute Kommunisten werden! So lange, bis die politischen Funktionäre kommen!«
    Nun wartete man auf die Funktionäre. Aber sie kamen nicht. Und so ging das Leben weiter wie bisher … es hatte sich nichts geändert, ob nun ein Carol König war, ein Michael, ein Antonescu eine Zeitlang regierte, oder jetzt im Hintergrund Väterchen Stalin, der Mann mit dem dicken Kopf und dem buschigen Schnurrbart, der im Kreml wohnen sollte, von dem keiner wußte, was das war und wo er richtig lag.
    Wen interessierte das auch? Die Schafe gaben Milch, aus der man Käse machte … die Wolle wollte gesponnen sein, denn Brüderchen Neculae brauchte ein neues langes Hemd mit bunten Borden. Was ging einen da die Politik an?
    In diese Dörfer schlich sich nachts Vera Mocanu.
    Wenn sie dann gegen Morgengrauen zurückkehrte in die Höhle, in der die vier deutschen Soldaten warteten, hatte sie immer etwas erbettelt. Schafskäse, Wein, Maisbrot, getrocknetes Obst, Fleisch, harte Wurst.
    Mit dem ersten, durchgehenden Schneefall, der die Pässe unwegsam machte, die Felder in Schneewüsten verwandelte, in denen man bis zur Brusthöhe einsank und steckenblieb, war eine Weiterwanderung nicht mehr
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