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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf
Autoren: Heinz G. Konsalik
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möglich.
    Es galt, zu überwintern. Wie die Wölfe, so suchten sich auch die fünf einen Platz in den Felsen, wo sie bis zum nächsten Frühjahr leben konnten. Nach langem Suchen fanden sie eine große Höhle. Sie lag auf halber Höhe eines Berges, von der Schlucht, die als Weg diente, nicht zu sehen, geschützt gegen Schneefall und Lawinen durch einen überhängenden Felsvorsprung, der den Eingang schützte wie eine dicke Markise.
    »Hier bleiben wir«, sagte Bornemann. Er betrachtete die Höhle von allen Seiten, klopfte an die Wände, kroch bis in den dunklen Hintergrund und kam dann ziemlich zufrieden wieder hervor. »Da mache ich uns eine Villa draus, daß ihr staunen werdet. Wir bauen einen Ofen, ein Schlafzimmer, eine Küche, ein Damenzimmer, ein …«
    »Rindviech!« sagte der Haindl Toni grob. »So a groß' Maul! Was bildst da du denn ei, du Hirsch?!«
    »Ich bin Architekt.« Hans Bornemann lachte, als er das dumme Gesicht Haindls sah. »Und da du als Holzhacker Erfahrung hast, ernenne ich dich zum Zimmermann! Du wirst genau nach Zeichnung die Zimmer machen! Verstanden?!«
    »Do leg's di nieder!« Der Haindl Toni warf den Sack, in dem er die Verpflegung der Gruppe trug, in den Schnee. »An Studierten hab'n wir bei uns und wissen's net! Aber dös mit die Zimmer, dös is guat!«
    Und sie begannen zu bauen.
    Sechs Kilometer von Tanescu entfernt, in dem die kleine Sonja Patrascu und der alte Arzt Georghe Brinse lebten.
    Einen Monat lang hatte der alte Mihai Patrascu höllische Angst gehabt.
    Als seine Sonja von der Weide zurückkam und rief: »In den Bergen sind deutsche Soldaten! Ich muß ihnen zu essen bringen und einen Arzt holen!« hatte Patrascu sich die Haare gerauft und Sonja am Rock festgehalten.
    »Hier bleibst du!« hatte er gebrüllt. »Was geht uns das an?! Du hast nichts gesehen, verstehst du?! Sollen wir von den Funktionären weggejagt werden?! Willst du Unglück über uns bringen?!«
    »Aber sie haben Hunger, Vater!«
    »Es ist nicht mein Hunger!«
    »Man muß ihnen doch helfen, Vater! Vielleicht hat man Jon auch geholfen, als er Hunger hatte und einen Arzt wollte.«
    Der alte Mihai Patrascu schwieg verbissen. Die Erinnerung an Jon war seine wunde Seite. Jon war sein einziger Sohn gewesen. Mit den deutschen Truppen war er weggezogen, nach Stalingrad. Er hatte nie wieder etwas von ihm gehört … Jon Patrascu blieb verschollen, als habe das große Rußland ihn einfach verschluckt.
    Wortlos gab er Sonja Wein und Brot, Fleisch und Wurst mit und brachte sie zu dem alten Georghe Brinse. »Wir müssen helfen, Freund«, hatte er leise gesagt. »Es sind doch Menschen wie wir …«
    Von diesem Tag an war die Ruhe des Patrascu fort. Als sechs Milizsoldaten mit einem Unteroffizier nach Tanescu verlegt wurden, um die Verbreitung der kommunistischen Weltanschauung zu überwachen, zitterte er bei jeder Streife, die an seinem Hof vorbeiführte, vor dem Gedanken, die Soldaten könnten nicht mehr an seiner Tür vorbeigehen, sondern hereinkommen und brüllen: »Komm her, du verlauster Hund! Du hast den Deutschen geholfen! Jetzt helfen wir dir … zu einer Freifahrt nach Bukarest … ins Gefängnis von Fort Jilawa …«
    Aber sie gingen immer an seiner Tür vorbei … einen Monat lang. Da wurde er ruhiger und grüßte sogar die Milizsoldaten, wenn sie von der Patrouille zurückkamen.
    »Nichts Neues, Genossen?« rief er ihnen zu.
    Und die Milizleute schüttelten die Köpfe, und der Unteroffizier rief zurück: »Nichts, Genosse Patrascu! Aber es sind Deutsche im Gebirge. Wir wissen es! Und eines Tages haben wir sie!«
    Maria, gib, daß sie die Jungen nie finden, betete Patrascu im Inneren. Auch mein Jon war ein so junger Mensch … und er ist verschwunden, einfach nicht mehr da! Maria, laß sie weiterleben … auch wenn es Deutsche sind …
    Sonja Patrascu dachte nicht mehr an die Deutschen. Sie hütete die Ziegen und Schafe, molk sie, machte Käse und Butter, spann die Wolle und webte auf einem Handwebrahmen für die Mutter eine ärmellose Jacke. Sie sollte sie zu Weihnachten bekommen.
    Der einzige, der das kurze Erlebnis in den Bergen nicht vergessen konnte, war Georghe Brinse, der Arzt. Er sah immer die traurigen Augen des Jungen vor sich, der mit seinen eiternden Füßen sich durch die Wildnis schleppte in der wahnwitzigen Hoffnung, aus dem Teufelskreis der Karpatenkette heraus nach Deutschland zu kommen. Ein Flüchtender vor der Wahrheit, die so entsetzlich war, daß sein junges, dem Leben nachjagendes Hirn sie
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