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Der letzte Elf

Titel: Der letzte Elf
Autoren: Silvana DeMari Silvana De Mari
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war Stroh. Er schloss die Augen. In seiner Vorstellung tauchte das Bild des Feuers auf. Der Geruch von Feuer stieg ihm in die Nase. In seiner Erinnerung tauchte die Empfindung von Wärme auf.
    Als er die Augen wieder öffnete, brannte das Feuer in der Kugel lichterloh.
    Die Frau war sprachlos.
    »Kannst du ohne Glut Feuer machen?«
    »Jaaaaaaaaaaaaaaaah.«
    »Warum hast du mir das nicht gesagt?«
    »Du hast nicht danach gefragt.«
    »Ich hab dich doch gefragt, ob du Zauberkräfte hast!«
    »Ja, und ich habe dir geantwortet und von den großen Kräften erzählt: Atmen, Essen, Leben. Feuer anzünden ist nur eine kleine Zauberkraft. Man braucht nur die Temperatur zu erhöhen und schon geht das Feuer an. Das kann doch jeder.«
    »Ich nicht«, sagte die Frau.
    »Neiiiin?« Der Kleine war verwirrt. »Das ist nicht möglich. Alle können...«
    »Wenn wir alle Feuer machen könnten, warum sollten wir dann die Kugeln mit der Glut mit uns herumtragen?«
    »Weil ihr Menschen seid«, erklärte der Kleine seelenruhig. »Ihr seid dumm.«
    »Büßt du für ein früheres Leben, oder gibt es sonst einen Grund, warum du einen Elfen bei dir hast?« Der Mann wirkte immer erstaunter. »Ganz abgesehen von der liebenswürdigen Gesellschaft, aber im ersten Dorf machen sie mit euch beiden doch kurzen Prozess. Die Leute mögen solche nicht, die durch Gedankenkraft Feuer machen.«
    »Warum nicht? Das ist bequemer, als eine Kugel mit Feuer herumzutragen.«
    »Du könntest eine Person oder ein Haus in Brand stecken. Ein Haus mit ein, zwei oder fünfzehn Leuten drin.«
    Die Vorstellung war dermaßen grausam, dass sich die Augen des kleinen Elfen schlossen und er laut aufstöhnte vor Schmerz. Im Geist sah er die verbrannten Leiber, ja, er roch sogar den Geruch von verbranntem Fleisch. Das Grauen überwältigte ihn. Er musste sich übergeben. Als er endlich aufhören konnte, fing er an zu weinen. Nicht das übliche leise Gewimmer, sondern ein lang anhaltendes Geheul voll gellender Schreie und herzerweichendem Schluchzen.
    »Sorg dafür, dass er aufhört«, brüllte der Mann. »Sorg dafür, dass er aufhört, das ist ja unerträglich!«
    »Da siehst du, was du angerichtet hast!«, gab die Frau zurück. »Bitte, Kleiner, es ist alles gut, es ist ja nichts passiert. Das war nur so dahingesagt.«
    »Nur so dahingesagt«, der Elf war außer sich. Aber es wirkte. Er hörte auf zu weinen. »Nur so dahingesagt. Wie wagt ihr es, wie könnt ihr, wie könnt ihr es wagen, so etwas zu sagen? Bei all dem Schmerz, der darin liegt, einfach nur so.«
    Er fing wieder an zu weinen. Diesmal war es das übliche herzzerreißende Gejammer.
    Der Mann setzte sich auf einen Baumstumpf. Auch er musste irgendeine Krankheit haben, denn er holte genauso tief Luft wie die Frau. Der Himmel klarte weiter auf. Zum ersten Mal seit Wochen waren wieder Sterne zu sehen.
    »Ich habe ein Kaninchen«, sagte der Mann, »ich habe es heute Morgen erlegt. Ihr habt mir Feuer gegeben, ich habe ein Kaninchen und es hat aufgehört zu regnen. Jetzt lassen wir uns hier nieder und essen etwas. Ich heiße Monser.«
    Einen Moment schwiegen sie, aber nicht lang.
    »Sajra«, sagte die Frau.
    Auch der Kleine hörte auf zu weinen und meldete sich ebenfalls zu Wort.
    »Hat er Schnupfen?«, fragte der Mann.
    »Nein, das war kein Niesen, das ist sein Name.«
    »Hat das Kaninschen auch Körner wie der Maiskolben?«, erkundigte sich Yorsch, der beim Wort »Essen« gleich wieder munter geworden war.
    Der Mann lachte.
    »Nein«, sagte er, »das Kaninchen hat ein schönes Fell, so hat man nachher etwas, um sich die Füße zu wärmen. Schau hier!« Er öffnete seinen Quersack, um es dem Kleinen zu zeigen.
    Yorsch fasste die Ränder des Quersacks mit beiden Händen und sah erwartungsvoll hinein. Die Vorstellung von etwas, was den Magen füllte und zugleich die Füße wärmte, war einfach himmlisch: Nicht einmal Großmutter, die alles wusste, hatte ihm je von einem solchen Schatz erzählt. Vielleicht waren die Menschen ja doch nicht so... Ein gellender Schrei hallte über die Sümpfe.
    Ein grausamer Schrei, der den Schmerz der ganzen Welt in sich trug.
    »Das ist ja ein Kadaver«, schrie der kleine Elf, »schau hier, er hat es mit der Spitze von seinem Stab getroffen. Und jetzt ist es tot. Wollt ihr einen Kadaver essen?«
    »Warum, esst ihr die Kaninchen vielleicht lebend?«, der Mann war entrüstet.
    »Elfen essen nichts, was gedacht hat, gelaufen ist, was Hunger gehabt hat und Angst vor dem Tod. Großmutter hat es
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