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Der letzte Elf

Titel: Der letzte Elf
Autoren: Silvana DeMari Silvana De Mari
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Buchstaben, ohne eine Silbe zu verändern, denn wer dafür gekämpft hat, sprechen zu dürfen, der hat ein Anrecht darauf, dass an dem, was er sagt, nichts geändert wird.
    Als er damit fertig war, fügte er alles Weitere hinzu, was ihm diktiert wurde:
    WEM ES HIER GAR NICHT GEFÄLLT, DER KANN GEHEN,
UND WENN ER WIEDERKOMMT, IST ES AUCH GUT.
     
    NIEMAND DARF GESCHLAGEN WERDEN.
     
    DIE AXT, MIT DER DU IMMER GEARBEITET HAST UND DIE
FRÜHER DEINEM VATER GEHÖRTE, IST DEIN EIGENTUM.
     
    ES DARF AUCH NIEMAND GEHÄNGT WERDEN.
     
    MAN KANN VERSUCHEN, LESEN ZU LERNEN.
     
    AUCH SCHREIBEN.
     
    WAS DU AUS DEM MEER HOLST, GEHÖRT DIR, UND DU
MUSST NIEMANDEM ETWAS DAFÜR ZAHLEN.
     
    WENN PAPA UND MAMA STERBEN, WERDEN IHRE BESTEN
FREUNDE PAPA UND MAMA FÜR IHRE KINDER SEIN.
     
    KLEINE KINDER BRAUCHEN NICHT ZU ARBEITEN.
     
    KINDER ARBEITEN WENIGER ALS ERWACHSENE UND
VERRICHTEN LEICHTERE AUFGABEN.
     
    GRABEN IM SCHLAMM IST KEINE LEICHTE ARBEIT
UND KINDER DÜRFEN ES NICHT.
    Langes Schweigen.
    »Jeder kann auf seine Weise glücklich werden«, sagte eine Frau.
    Moron setzte hinzu: »Es ist nicht verboten, ein Elf zu sein.«
    Yorsch schrieb auch das auf. Robi und Cala tuschelten lange unter komischem Gekicher miteinander, dann formulierte Cala, rot bis über beide Ohren, während Robi sich hinter ihr versteckte, ein letztes Gesetz: »Jeder kann heiraten, wen er will, aber wirklich wen er will, auch wenn er irgendwie anders ist, und niemand darf ihm hineinreden.«
    Als er fertig war, las Yorsch alles noch einmal laut vor, und alle waren einverstanden.
    Dann schwärmten alle aus, um sich für ihre erste Nacht in Erbrow, dem Dorf der freien Männer, Frauen und Kinder, bereit zu machen.
    Cala und Creschio blieben stehen und sahen sich an.
    »Robi hat gesagt, jemand würde kommen und mich aus dem Waisenhaus wegholen.«
    »Ein Elf und ein Drache sind gekommen.«
    »Ja, ich weiß, aber die sind ja für alle gekommen. Ich dachte, jemand würde nur für mich kommen. Das ist nicht dasselbe.«
    Creschio setzte sich in den Sand.
    »Auch ich habe jahrelang geträumt, dass jemand kommen würde, um genau mich aus dem Waisenhaus zu holen. In Wirklichkeit träume ich auch jetzt noch davon, wo wir doch schon draußen sind.«
    Cala schwieg, dann fing Creschio wieder an: »Also machen wir es so: Ich habe dich herausgeholt und du mich, so haben wir auch jemanden, der gekommen ist, um genau uns zu holen.«
    Cala nickte, dann setzte auch sie sich in den Sand, dicht neben ihn.
     
     
    Die Sonne ging über dem Meer unter. Ein rosa Lichtstreifen leuchtete am Horizont, und der Himmel füllte sich mit Licht, während im ersten Dunkel des Ostens die ersten Sterne schimmerten.
    Robi und Yorsch gingen gemeinsam ans Wasser, wo die Wellen sanft ausliefen.
    »Weißt du«, fing Robi an, »mein Name...«
    Sie konnte nicht aussprechen. Yorsch fiel ihr ins Wort. »Dein Name ist wunderschön, er gefällt mir sehr.«
    »Robi gefällt dir?«
    »Ja, er ist wie das Geräusch eines Tropfens, der ins Wasser fällt, eines Steines, der übers Wasser springt, ein wunderschöner Name.«
    Robi war im Zweifel und nachdenklich, ein angedeutetes Lächeln im Gesicht. Dann wurde das Lächeln breiter und sie begann zu strahlen.
    »Und die Prophezeiung?«, fragte sie noch. »Dein Schicksal? Das Mädchen, deren Name dem der Morgenröte gleicht?«
    Yorsch zuckte die Achseln und sah sie an. Er errötete heftig und machte eine unbestimmte Bewegung.
    »Unser Schicksal ist das, was wir wollen, nicht das, was in eine Wand gemeißelt wurde, es ist unser Leben, nicht der Traum, den jemand anderer geträumt hat.«
    Robi nickte zustimmend. Sie beugte sich hinunter und setzte ihr Schiffchen mit der kleinen Puppe darin aufs Wasser und sah ihnen zu, wie sie sachte schaukelten. Das waren die Spielsachen, die ihre Eltern für sie gemacht hatten, alles, was von ihnen übrig war, außer einer Schleuder, ihrem Namen und ihr selbst.
    »Meine Kinder werden damit spielen«, sagte sie mit Bestimmtheit. Sie wusste das. Sie hatte es gesehen.
    Sie fragte sich, ob sie es ihm sagen sollte, Yorsch, das mit ihrem Namen und der Prophezeiung.
    Sie konnte sich das in aller Ruhe überlegen.
    Sie hatte ein ganzes Leben lang Zeit dafür.

Silvana De Mari arbeitete als Ärztin in Italien und Afrika, bevor sie sich zur Psychotherapeutin ausbilden ließ. Mit ihrer Familie und einem riesigen Hund lebt sie nahe Turin.

cbj ist der Kinder- und Jugendbuchverlag
in der Verlagsgruppe Random House
     
    Verlagsgruppe Random
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