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Der letzte Elf

Titel: Der letzte Elf
Autoren: Silvana DeMari Silvana De Mari
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dumpf und verheerend, zwischen dem vierten und dem fünften Scheitelknochen, und da sie schon einmal beim Thema waren, auch die Schmerzen in den Hinterbeinen waren noch nicht vergangen, ganz zu schweigen vom Rückenweh.
    Yorsch glaubte, sich zu erinnern, dass Drachen insgesamt nur drei Scheitelknochen hatten, aber nach den mit Erbrow dem Älteren verbrachten Jahren hatte er eine bemerkenswerte Feinfühligkeit darin entwickelt, zu erkennen, wann er besser den Mund halten sollte.
    Der Nebel lichtete sich, und der Weinberg wurde sichtbar, wo ein halbes Dutzend kleiner Brandstellen Löcher in die gleichmäßigen Reihen der Rebstöcke gerissen hatten. Verwundert schaute Yorsch darauf. Creschio erklärte ihm, dass der Drache vom Bier Schluckauf bekommen habe.

KAPITEL 20
    S eit der Zeit, als sie noch mit ihrem Papa und ihrer Mama beisammen war, hatte Robi keine Hühnerkeule mehr in die Finger bekommen. Zart gab das Fleisch zwischen ihren Zähnen nach; es roch nach Mama, die kochte, und nach Papa, der auf die Jagd ging, sogar Rosmarin hatten sie daran getan! Sie wusste nicht, ob sie schnell essen sollte, damit der Hunger eher verging, oder lieber langsam, Stück für Stück, um länger davon zu haben.
    Überall waren Leute. Alle waren zerlumpt und abgerissen. Sie wirkten müde, einige waren vielleicht krank.
    Yorsch versuchte, sie um sich zu scharen, sie mussten schleunigst hier weg. Denn früher oder später - eher früher als später - würde die Kavallerie aus Daligar eintreffen und dann würden alle ihrem Frondienst auf den Bauernhöfen als einem glücklichen Goldenen Zeitalter nachweinen, denn was dann mit ihnen geschähe, würde unendlich viel schlimmer sein. Yorsch war verwundet, er hinkte. Er versuchte, die Leute zusammenzutreiben, aber das Ganze wirkte wie eine Schafherde mit einem lahmen Schäferhund. Kaum sah es so aus, als seien alle da und man könne aufbrechen, lief wieder jemand davon, um noch etwas zu holen, noch eine Traube zu pflücken, ein letztes Stück Brot aufzutreiben oder einen Krug Bier, die womöglich noch irgendwo versteckt waren.
    Robi wurde klar, sie waren schon so lange so verzweifelt, dass sie nicht einmal auf ihre Rettung zu hoffen vermochten. Wenn du Jahre des Hungers und der Erschöpfung hinter dir hast, wird es schwierig, an das Morgen zu denken. Dein Kopf ist ganz angefüllt vom Hier und Jetzt: jetzt etwas weniger Hunger haben, hierbleiben, weil der Marsch anstrengend ist. Wer immer nur Befehle empfangen und eine Tracht Prügel bekommen hat, wenn er versuchte, etwas zu tun, was nicht befohlen war, kann schließlich nichts mehr tun, was nicht befohlen ist, nicht einmal sein Leben retten!
    Tatsächlich waren sie so sehr daran gewöhnt, in Angst und Schrecken zu leben, dass die Bedrohung durch einen möglichen Angriff der Kavallerie von Daligar sie gar nicht weiter schreckte. Das konnte schließlich auch nicht schlimmer sein als dieses Gefühl der eigenen Wertlosigkeit, das sie seit jeher niederdrückte. Sodann überlegten sie sich, dass man Sklaven nicht umbringt, denn sonst musste man ja selbst an ihrer Stelle arbeiten. Weit gefehlt! Wenn sie nicht bald von hier verschwanden, war es nicht das Los von Sklaven, was sie erwartete, sondern das von Leichnamen! Namenlose Leichname ohne Grab, die man im Morast liegen ließ, Würmern, Geiern, Krähen und Ratten zum Fraß. Nie und nimmer würde der Verwaltungsrichter zulassen, dass nach einer Revolte, und sei das auch nur ein Gelage mit den Hühnern »seiner« Grafschaft gewesen, irgendeiner von den Beteiligten am Leben blieb.
    Außerdem hatten sie überhaupt kein Vertrauen in die Möglichkeit, wirklich von hier wegzukommen, es war klar, dass sie es nicht schaffen konnten. Alles, was sie wollten, war noch ein paar Krümelchen zusammenzuklauben und dann alles laufen zu lassen, wie es wollte. Umgekehrt waren sie seit jeher so sehr an den Hunger gewöhnt, dass es ihnen wichtiger erschien, sich auch nicht das kleinste Getreidekorn oder die kleinste Weintraube entgehen zu lassen, als einem Zusammenstoß mit der Kavallerie auszuweichen.
    Robi schloss die Augen. Hinter ihren Lidern wurde es blau. Jetzt waren die einzelnen Wellen zu erkennen, sie hörte auch das Rauschen des Meeres und sah weiße Vögel am Horizont dahinsegeln. Sie sah einen Strand und erkannte einzelne Gestalten: Die Alte, die gerade mit Cala spielte, etwas krumm und am Stock, und den Mann mit der Hakennase, der in diesem Augenblick zwischen den Rebstöcken stand. In einem Boot mit Netzen
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