Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der letzte Elf

Titel: Der letzte Elf
Autoren: Silvana DeMari Silvana De Mari
Vom Netzwerk:
überkam, wenn er all seine Kräfte verausgabt hatte, eine so totale Müdigkeit, dass sie schmerzhaft wurde, doch dann wurde es besser. Der Himmel riss auf, ein paar Sterne funkelten.
    Ab und zu wechselten er und Robi einen Blick.
    Yorsch trug den Schmerz in sich, einen Menschen getötet zu haben, sein Bein war verwundet und eine ganze Armee war ihm auf den Fersen, aber in seinem ganzen bisherigen Leben, den Flug auf einem Drachen eingeschlossen, war er noch nie so glücklich gewesen wie in diesem Augenblick.
    Sie kamen beim Waisenhaus an, als der Morgen dämmerte. Der Himmel war bewölkt, aber es regnete nicht. Ein feiner, eiskalter Nebel stieg vom Boden auf. Sie waren müde, glücklich, hungrig und frei.
    Während sie durch einen Weinberg ritten, der in prächtigem Rot und Gold erstrahlte, stellten sich ihnen zwei Straßenräuber in den Weg.
    Sie waren maskiert und mit den Knüppeln von Tracarna und Stramazzo bewaffnet und sie trugen die unverkennbaren Lumpen des Waisenhauses. Sie drohten schreckliche Vergeltungsmaßnahmen an, wenn sie ihnen nicht auf der Stelle die Pferde überließen. Ein Augenblick der Verwunderung auf beiden Seiten, dann erkannten sich alle wieder. Die Angreifer waren Creschio und Moron. Sie waren sehr ausgelassen, lustig betrunken, und sie erklärten, es sei der Drache höchstpersönlich gewesen, der sie beauftragt habe, bevor das Bier ihn vollends einschläferte, so viele Pferde aufzutreiben, wie sie konnten, um alle ans Meer zu bringen.
    Wen alle? All jene, die sich ihnen angeschlossen hatten. Als es zu regnen aufhörte und der Duft ihres Bratens sich in der Gegend verbreitete, über armselige Dörfer hinwegzog und über Bauernhöfe, wo die Kaninchen fetter waren als die Menschen, waren alle armen Schlucker herbeigeströmt und hatten sich ihnen angeschlossen. Solche, die nichts hatten. Solche, die niemanden hatten. Alle Habenichtse und Hungerleider hatten sich hier versammelt, alle, die keinen Grund und Boden mehr hatten oder davon geträumt hatten, welchen zu haben, und das waren viele.
    Immer noch zu Pferd, erreichten Yorsch und Robi die Lichtung, auf der das Waisenhaus stand. Überall waren noch Brandherde erkennbar, an manchen Stellen qualmte es noch, der Rauch stieg auf und vermengte sich mit dem Nebel. Federn von Gänsen, Hühnern und Enten mischten sich am Boden unter das Herbstlaub. Drei umgekippte, leere Bierfässer standen um den Drachen herum, darin schliefen Leute, übereinanderliegende Gestalten mit mageren, dunklen Händen, die aus zerlumpten Ärmeln hervorschauten. Andere waren im Haus von Tracarna und Stramazzo, einige auf der Tenne. Das Waisenhaus gab es nicht mehr. An seiner Stelle bildete eine unglaubliche Menge Steine fast so etwas wie einen kleinen Hügel, es war durch Steinwürfe niedergerissen worden. Mithilfe von Creschio und Moron stieg Robi von Fleck herunter, blieb stehen und betrachtete die Reste des Waisenhauses, dann bückte sie sich, hob einen Stein auf und schleuderte ihn gegen das, was von der Nordwand, neben der sie geschlafen hatten, noch übrig war. Lang blieb sie reglos so stehen, die Augen ins Leere gerichtet. Cala erkannte sie und lief ihr schreiend entgegen. Sie hatte ihr, es tapfer gegen alle und jeden verteidigend, ein echtes Hühnerbein aufgehoben! Hühner denken nicht gar so viel und schmecken auch besser als Ratten.
     
     
    Der Drache war, mit Verlaub gesagt, miserabler Laune und hatte unerträgliche Kopfschmerzen.
    Empört fragte ihn Yorsch, wie er auf die Idee gekommen war, diese zwei braven Jungs als Straßenräuber und Pferdediebe loszuschicken.
    Der Drache antwortete, die Bedeutung des Wortes »brav« lasse offenbar viele Auslegungen zu, diese zwei aber brächten für das Räuberhandwerk eine derartige natürliche Begabung mit, dass es geradezu an Grausamkeit gegrenzt hätte, sie das nicht ausleben zu lassen. Wenn Yorsch so schlau war und eine bessere Idee hatte, wie man den Transport von all diesen Leuten, die bis hierher gekommen waren, organisieren könnte, dann ließe er sich gern belehren. Da waren die Waisen aus dem Waisenhaus, deren Größe und Alter vom gerade entwöhnten Säugling bis zu angehenden Jugendlichen reichte; Kinder und Jugendliche können laufen, aber gerade entwöhnte Säuglinge musste man tragen.
    Dann war da eine Gruppe von Landstreichern, die plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war. Nein, nicht plötzlich, sie waren gekommen, als sich der Bratenduft in der Ebene zu verbreiten begann, und sie hatten sich mit der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher