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Der Letzte Bus Nach Woodstock

Der Letzte Bus Nach Woodstock

Titel: Der Letzte Bus Nach Woodstock
Autoren: Colin Dexter
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eine lange Tradition zurück, sondern können auch – schwarz auf gelbem Grund – vier oder sogar fünf der begehrten Sterne vorweisen, mit denen der britische Automobilclub Häuser der oberen Kategorie kennzeichnet.
    Der Black Prince liegt, wenn man von Süden kommt, linker Hand auf halber Höhe in einer breiten Nebenstraße. Er kann sich keiner alten Herkunft rühmen, und der Name ist wohl kaum darauf zurückzuführen, daß der kampferprobte Sohn König Eduards III. jemals in einem seiner Räume gelacht, geweint, gezecht oder gehurt hätte. Die Wahl des Namens hatte denn auch tatsächlich einen prosaischen Hintergrund. Die Gesellschaft, die das Haus mit den dazugehörigen Nebengebäuden vor etwa zehn Jahren kaufte, folgte damit dem Vorschlag eines ihrer Direktoren, der in einem örtlichen Führer, dem es wohl nicht in erster Linie um historische Genauigkeit zu tun gewesen war, die Behauptung gefunden hatte, der Prinz sei in der Gegend geboren. Die anderen Direktoren hatten ihn zu seinem erfolgversprechenden Einfall begeistert beglückwünscht, um so mehr, als man nach einem Blick ins Telefonbuch sicher sein konnte, daß der imageträchtige Name bisher noch nicht kommerziell genutzt wurde. So blieb es dabei. Die talentierte Tochter des ersten Geschäftsführers kopierte aus einem Kinderlexikon in gekonnt altertümlicher Schrift eine kurze, sehr romantische Darstellung des prinzlichen Lebens. Nach einer Viertelstunde bei 220 Grad im Backofen ihrer Mutter hatte das Papier jenen bräunlichen Farbton angenommen, den ein unbefangener Gast auf hohes Alter zurückführen mochte. Nun hing das Werk ordentlich gerahmt an gut sichtbarer Stelle in der Lounge Bar, und die Wappen der Oxforder Colleges, die säuberlich hintereinander an die niedrigen Balken genagelt worden waren, trugen ein übriges dazu bei, daß der Raum so etwas wie Atmosphäre besaß.
    Gaye arbeitete seit zweieinhalb Jahren hier. Die Anstrengungen der Geschäftsleitung, der Lounge Bar des Black Prince einen Hauch von Exklusivität zu geben, hatten Erfolg gehabt: nur selten hatte sie es mit einer so gewöhnlichen Bestellung wie etwa »ein Halbes von eurem besten Bitter« zu tun. Die junge Schickeria, die die Lounge Bar frequentierte, bevorzugte Wodka mit Limone, die amerikanischen Touristen verlangten Manhattan-Cocktails und die Universitätsleute aus Oxford tranken Gin mit Martini. Gaye kam den Bestellungen routiniert nach und griff mit traumwandlerischer Sicherheit nach den verschiedenen Flaschen, die verführerisch glitzernd und schimmernd hinter ihr aufgereiht standen. Der Boden der Lounge Bar war mit schweren Teppichen bedeckt, die Sessel und die Polsterbänke längs der Wände wirkten in ihrem warmen Orangeton anheimelnd. Der Raum lag in gedämpftes Licht getaucht, so daß ein Hell-Dunkel-Effekt erzielt wurde, von dem man sich erhoffte, daß er dem Ganzen die Stimmung gewisser Rembrandt-Bilder verleihen würde. Gaye war eine attraktive junge Frau mit kastanienbraunen Haaren. An diesem Mittwochabend trug sie, wie immer untadelig gekleidet, einen schwarzen Hosenanzug und eine weiße Spitzenbluse. Die funkelnden Ringe an Mittel- und Ringfinger ihrer linken Hand bedeuteten eine sanfte, aber unmißverständliche Warnung an Möchte-gern-Playboys, ihren Wünschen nicht die Zügel schießen zu lassen. Böse Zungen behaupteten indes, sie dienten ebensosehr dazu, ehemüden Männern zu signalisieren, daß sie sich ein Abenteuer mit ihr etwas würden kosten lassen müssen. Sie war verheiratet gewesen, aber inzwischen geschieden und lebte mit ihrem kleinen Sohn und ihrer Mutter zusammen, die der diskreten Promiskuität ihrer Tochter mit Nachsicht begegnete. Das Kind hatte nach der mißglückten Ehe mit diesem üblen Schwein etwas Abwechslung verdient. Gaye war sowohl mit ihrem ungebundenen Leben als geschiedene Frau wie auch mit der Arbeit sehr zufrieden und hatte vor, beides noch eine Zeitlang beizubehalten.
    An diesem Abend war, wie immer mittwochs, viel los gewesen, und sie atmete ein bißchen auf, als es endlich kurz vor halb elf war und sie die Gäste darauf hinweisen konnte, daß sie jetzt ihre letzte Bestellung machen müßten. Ein junger Mann am Ende der Theke schob ihr sein Whiskyglas zu.
    »Noch mal dasselbe.«
    Gaye sah ihm etwas zweifelnd in die unruhigen Augen, sagte aber nichts. Sie stellte sein Glas unter die Whiskyflasche, setzte es dann vor ihn hin und hielt die rechte Hand auf, während sie mit der linken automatisch den Preis eintippte. Der junge
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