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Der letzte Abend der Saison

Der letzte Abend der Saison

Titel: Der letzte Abend der Saison
Autoren: Ake Edwardson
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drüberlegen und hätte eine gute Hütte.
    Der Stein war warm. Er schaute hoch und sah Schwalben wie ein lichtes Netz am Himmel.
    Alle Farben schienen sich versteckt zu haben, als der Regen kam, doch jetzt waren sie wieder da, dachte er. Aber sie sahen anders aus als vorher.
    Der Junge hatte die belegten Brote gegessen, die die Mutter ihm mitgegeben hatte, doch er war immer noch hungrig. Er wunderte sich, dass er keinen Durst hatte.
    Er rutschte von dem Stein hinunter, ging zum Auto zurück und rüttelte den Onkel ein wenig, der auf dem Rücksitz zusammengekrümmt auf der Seite lag. Der Kopf hing über den Sitz und der Junge fragte sich, wie man überhaupt in dieser Stellung schlafen konnte. Alles Blut läuft in den Kopf, dachte er.
    Ein dünner Faden Spucke zog sich vom Mundwinkel des Onkels fast bis zum Boden des Autos hinab. Es sah beinahe aus wie irgendein Trick, den er lange geübt hatte.
    »Onkel.«
    Der Junge schüttelte ihn wieder, diesmal etwas fester, und der Onkel brummte und schrak dann heftig zusammen. Er sah ihn mit Augen an, die nichts zu sehen schienen. Er schüttelte den Kopf.
    »Verdammt, da bin ich doch ein wenig eingenickt. Sind die Pferde zurückgekommen?«
    »Nein.«
    »Hast du niemanden gesehen?« Der Onkel rieb sich den Nacken und schaute durch das Rückfenster. »Es wird bald dunkel werden. Wir sollten wohl mal zurückfahren.«
    »Ja.«
    »Du willst jetzt nach Hause, nicht?«
    »Ja.«
    »Willst du fahren?«
    »Was?«
    »Willst du das Auto fahren? Du möchtest es doch sicher mal probieren, oder?«
    »Nee …«
    »Natürlich möchtest du mal fahren, Lennart. Von hier bis zum Bahnübergang bei Bengtssons. Das ist noch ein gutes Stück, bis der Übergang kommt.«
    Als der Onkel das sagte, hörte der Junge das Pfeifen des Zuges, woher es auch immer kam, das war jetzt das abendliche Pfeifen und es klang bestimmter als zuvor. Als wäre der Zug größer geworden, als wäre er nicht mehr so klein und einsam.
    »Das kann ich nicht.«
    »Ich bin ein wenig müde, Lennart. Ich zeige dir alles und dann fährst du so lange, bis ich wieder etwas frischer bin«, sagte der Onkel, klaubte die Flasche vom Boden auf und hielt sie in der Hand.
    Der Junge konnte sehen, dass nur noch wenig darin war.
    Der Onkel trank den Rest aus und warf dann die Flasche nach hinten auf den Boden. Sie hätte kaputtgehen können, dachte der Junge.
    »Ich will nicht«, sagte er.
    Der Onkel schaute den Jungen an.
    »Gut so, Lennart. Ich habe nur einen Witz gemacht.«
    Der Junge war sich nicht sicher, ob das stimmte. In den Augen des Onkels war kein Lachen gewesen, als er das mit dem Fahren gesagt hatte.
    Der Junge hatte gehofft, dass er die Pferde noch einmal sehen würde, doch sie zeigten sich nicht. Das Gebüsch dort hinten war wie ein Tor, das niemanden zurückkommen ließ. Wer dort hineingeht, kehrt nie zurück, dachte er. Vielleicht ist das der Himmel.
    »Hörst du den Zug?«, fragte der Onkel.
    »Ja.«
    »Das ist lustig an der Gegend hier, man hört den Zug überall, trifft aber nie jemanden, der schon mal damit gefahren ist.«
    Der Junge antwortete nicht.
    »Keiner steigt ein und keiner steigt aus«, sagte der Onkel. »Alle fahren vorbei, sind fremd und schauen raus und fragen sich, wie man hier bloß leben kann.«
    Der Junge sagte nichts, er horchte auf den Zug, der näher zu kommen schien.
    »Nächstes Mal fahren wir mit dem Zug, Lennart.«
    »Ja.«
    »Ich kann dir sagen, ich hatte schon ein paar Sachen am Laufen, aber dann ist immer irgendwie was dazwischengekommen«, sagte der Onkel.
    Der Junge schwieg, doch dann dachte er, dass er wohl fragen sollte.
    »Und was war das?«
    »Was dazwischengekommen ist? Meist irgendwie Frauen, denke ich, oder dieser Job, den ich am Laufen hatte, was dann aber nichts geworden ist«, sagte der Onkel und schaute zum Horizont.
    Die Sonne war auf dem Weg in eine andere Welt.
    »Jetzt fahren wir.«
    Die Abendstimmung war erfüllt von Geräuschen und einem schummerigen Licht. Es war, als würden sie in einem großen Raum fahren.
    »Wir müssen eine Abkürzung nehmen. Deine Mutter wird verrückt, wenn wir erst nach Einbruch der Dunkelheit nach Hause kommen.«
    »Was für eine Abkürzung?«
    »Die Eisenbahnlinie.«
    »Wo sind die Übergänge?«, fragte der Junge, drehte sich zur Seite und schaute den Mann an.
    »Die gibt es überall«, sagte der Onkel und der Junge sah, wie er kurz lachte.
    »Überall?«
    »Wenn sie eine Eisenbahnlinie durch die Gegend hier legen und dann nichts tun, damit wir sie
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