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Der letzte Abend der Saison

Der letzte Abend der Saison

Titel: Der letzte Abend der Saison
Autoren: Ake Edwardson
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horchten auf das Quietschen des Kreidebehälters.
    »Ohne den Idioten wurde es leer hier«, sagte der Bruder. »Er war wie ein Maskottchen.«
    »Ich frage mich, ob er dachte, dass er irgendwann mal ein Match mitspielen würde.«
    »Ich weiß nicht«, meinte der Bruder.
    »Er kam mit seinem Moped und stellte es da ab und hinterher fuhr er nach Hause.«
    »Wir konnten ihn schon von der Mejerigatan her hören. Erinnerst du dich, dass der Trainer sagte, und jetzt mal tüchtig, Jungs, jetzt kommt der Idiot?«
    »Haben wir ihn veräppelt?«
    »Nein.«
    »Bist du sicher?«
    »Nein.«
    »Er war wohl nicht so viel anders als wir.«
    »Hm.«
    »Mir wurde richtig komisch an dem Tag, als es hieß, er sei auf dem alten Weg überfahren worden«, sagte der Bruder.
    Der Mann, der die Linien weißte, hatte den Kreidebehälter ein Stück von ihnen entfernt weggestellt und rauchte jetzt eine Zigarette. Als er sie anzündete, hatte er den Kopf zum Gruß ein paar Millimeter erhoben.
    So grüßen wir hier, dachte er, mit dem Zeigefinger drei Millimeter vom Lenkrad erhoben, wenn wir einander begegnen, oder mit dem Kopf, so wie jetzt. So muss es sein. Nur wenn es eine Nähe zwischen den Menschen gibt, müssen die Begrüßungen nicht so furchtbar auffällig und übertrieben und falsch sein. Wir werden wahnsinnig von dieser Nähe hier, aber wir begnügen uns damit, einen Finger zu heben. In der Stadt umarmen die Bäume einander.
    »Ingemar war es, der ihn überfahren hat«, sagte der Bruder.
    »Ich weiß.«
    »Es passiert immer noch, dass ich mich frage, was er verdammt noch mal da gemacht hat.«
    »Ingemar?«
    »Nein, der ist immer da gefahren. Ich meine, der Idiot. Er war noch nie da gewesen. Da fuhr er nie lang und das wusste man, denn die Zündapp hörte man ja Meilen im Voraus.«
     
    An der Mejerigatan hielt ein Bus, ein paar Jungen stiegen aus und gingen den Hügel zum Vereinsheim hinauf.
    Gleichzeitig kamen ein paar andere Jungen auf Fahrrädern, die sie gegen den Metallzaun lehnten, der um den Platz verlief.
    »Jetzt weiß ich, warum wir hergekommen sind.«
    »Ja.«
    »Du Teufel.«
    »Nenn mich, wie du willst, aber du wusstest ja doch, warum«, sagte der Bruder.
    Er antwortete nicht.
    »Kommt sie auch?«, fragte er, nachdem sie beide eine halbe Minute schweigend dagestanden hatten.
    »Sie versteht es auch«, sagte der Bruder.
    »Was sagst du da, verdammt noch mal«, sagte er und hörte, wie schwach seine Stimme war. »Ich glaube, ich träume«, meinte er. »Ist sie hier?«
    »Natürlich nicht. Aber sie ist kein Unmensch.«
    »Ich habe mich auf dich verlassen.«
    »Es gibt Sachen, die kann man einfach nicht tun«, sagte der Bruder.
    »Ich kann es jedenfalls.«
    »Tu es nicht. Ich werde dir sagen, warum. Ich habe von mindestens zwei Fällen gehört, und zwar in deiner Stadt, aber ich weiß nicht, ob du sie kennst. In dem einen Fall ging alles schief und es wurde furchtbar. Es wurde eine Art Rache daraus, für die das Kind benutzt wurde. Es spielt keine Rolle, wie ruhig man zu Anfang ist. Das glaube ich. Ich habe viel darüber nachgedacht und das ist ein Risiko, das einfach zu groß ist. Du kannst den Jungen nicht mitnehmen, ohne zu riskieren, dass etwas Schreckliches passiert.«
    »Wir haben darüber doch schon geredet.«
    »Wenn alles näher kommt, dann kriegt es andere Proportionen«, entgegnete der Bruder. »Du kannst es jetzt nicht sehen, aber ich. Ich kann die Konsequenzen sehen und die können solcherart sein, dass man sie nicht sehen will. Verstehst du, was ich meine?«
    »Ja.«
    Er spürte die Tränen in den Augen, das Bild vor ihm war verschwommen. Er blinzelte und sah die Jungen, die sich jetzt draußen auf dem Platz versammelten, die beiden Mannschaften standen nebeneinander. Sie kickten sich die Bälle zu. Das Geräusch von Leder auf Leder.
    »Wie kannst du so etwas von mir denken«, fragte er, »dass ich so was machen würde?«
    »Es geht hier nicht um dich«, sagte der Bruder. »Es geht darum, was die Verzweiflung mit uns macht.«
    »Bin ich also verzweifelt?«
    »Wichtig ist, was ich jetzt sage«, sagte der Bruder. »Es geht nicht um dich, sondern um alles andere.«
     
    Das Spiel begann und er sah, wie der Sohn den Ball fast sofort bekam, wie er sich über das Mittelfeld bewegte und ihn nach links abspielte.
    Danach wendete sich das Spiel und der Sohn lief zurück und schien zu wissen, in welchem Bereich er sich aufhalten sollte.
    Er bewegt sich, wie ich es getan habe, dachte er und verfolgte die Schritte des
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