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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit
Autoren: Nelson Mandela
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erstehen, auf welche die ganze Menschheit stolz sein kann… Wir, die wir noch vor gar nicht so langer Zeit Ausgestoßene waren, haben heute das seltene Privileg, auf unserem eigenen Boden Gastgeber für die Nationen der Welt zu sein. Wir danken allen unseren erlauchten internationalen Gästen dafür, daß sie gekommen sind, und gemeinsam mit den Menschen unseres Landes Besitz zu ergreifen von dem, was letztlich einen gemeinsamen Sieg für Gerechtigkeit, Frieden und menschliche Würde darstellt.
    Wir haben zu guter Letzt unsere politische Emanzipation verwirklicht. Wir verpflichten uns, alle unsere Mitbürger von den weiterhin bestehenden Fesseln der Armut, der Entbehrung, des Leids, des Geschlechts und weiterer Diskriminierungen zu befreien.
    Niemals, niemals und niemals wieder soll es geschehen, daß dieses schöne Land die Unterdrückung des einen durch den anderen erlebt… Die Sonne wird niemals eine menschliche Errungenschaft so ruhmreich erstrahlen lassen.
    Laßt Freiheit herrschen. Gott segne Afrika!«
     
    Einige Augenblicke später hoben wir alle in Bewunderung unseren Blick gen Himmel, als eine spektakuläre Armada südafrikanischer Düsenjäger, Hubschrauber und Truppentransporter in perfekter Formation über die Union-Gebäude dahinbrauste. Es war nicht nur eine Zurschaustellung punktgenauer Präzision und militärischer Stärke, sondern auch eine Demonstration der Loyalität des Militärs gegenüber der Demokratie, gegenüber einer neuen Regierung, die frei und fair gewählt worden war. Nur wenige Augenblicke zuvor hatten die höchstrangigen Generäle der südafrikanischen Verteidigungsstreitkräfte und der Polizei, die Brust behängt mit Orden und Ehrenzeichen aus vergangenen Tagen, vor mir salutiert und ihre Loyalität bekundet. Ich war mir durchaus der Tatsache bewußt, daß sie vor noch gar nicht so vielen Jahren nicht salutiert, sondern mich festgenommen hätten. Am Schluß setzte eine Formation von Impala-Jets die Farben der neuen südafrikanischen Fahne, Schwarz, Rot, Grün und Gold, als Rauchstreifen an den Himmel.
    Der Tag fand für mich seine Symbolisierung im Abspielen der beiden Nationalhymnen und in der Vision von Weißen, die »Nkosi Sikelel’ iAfrika«, von Schwarzen, die »Die Stern«, die alte Hymne der Republik, sangen. Obwohl an diesem Tag keine der beiden Gruppen den Text der Hymne, die sie einst verachtet hat, kannte, würden beide bald die Worte auswendig wissen.
     
     
    Am Tag der Amtseinführung stand ich völlig unter dem Eindruck der Geschichte. In der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts, einige wenige Jahre nach dem grausamen Burenkrieg und vor meiner Geburt, hatten die weißhäutigen Menschen Südafrikas ihre Differenzen beigelegt und ein System rassistischer Herrschaft gegen die dunkelhäutigen Menschen ihres eigenen Landes aufgerichtet. Die von ihnen geschaffene Herrschaftsstruktur bildete die Grundlage einer der grausamsten, unmenschlichsten Gesellschaften, welche die Welt je gekannt hatte. Nun, in der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts und in meiner eigenen achten Dekade als Mensch, war jenes System für immer überwunden und durch ein anderes ersetzt worden, das die Rechte und Freiheiten aller Menschen unbeschadet ihrer Hautfarbe anerkannte.
    Jener Tag war herbeigeführt worden durch die unvorstellbaren Opfer Tausender von Menschen meines Volkes, von Menschen, deren Leid und Mut sich niemals abschätzen oder gutmachen lassen. An diesem Tag hatte ich das Gefühl, das ich an so manchen anderen Tagen gehabt hatte, daß ich einfach die Summe all jener afrikanischen Patrioten war, die vor mir gegangen waren. Jene lange noble Reihe endete und begann nun wieder mit mir. Ich war schmerzlich berührt, daß ich ihnen nicht danken konnte und sie nicht sehen konnten, was ihre Opfer bewirkt hatten.
    Die Apartheidpolitik hat in meinem Lande und in meinem Volk tiefe, dauerhafte Wunden hinterlassen. Wir werden allesamt Jahre brauchen, wenn nicht Generationen, um von diesem tiefen Schmerz zu genesen. Doch diese Wunden hatten einen anderen, einen unbeabsichtigten Effekt, nämlich den, daß sie die Oliver Tambos, die Walter Sisulus, die Häuptlinge Luthuli, die Yusuf Dadoos, die Bram Fischers, die Robert Sobukwes unserer Zeit hervorgebracht haben – Menschen von so außerordentlichem Mut, Weisheit und Großmut, daß ihresgleichen vielleicht niemals mehr zu finden sein werden. Vielleicht bedarf es solcher Tiefen der Unterdrückung, um solche Höhen an Charakter hervorzubringen. Mein Land
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