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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B.
Autoren: Willi Faehrmann
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Lehrer. »Ich will den Kopf nicht essen, sondern präparieren. Ich weiß, wie man das macht. Die Kinder können noch jahrelang den Fisch sehen, den der Lukas gefangen hat.«
    »Was meinst du selber dazu, Luke?«, fragte der Großvater.
    »Was soll ich dazu sagen?«, antwortete der Junge unbestimmt.
    »Ich rate dir, verschenke den Kopf nicht.«
    »Und warum, wenn ich Sie fragen darf, Friedrich Bienmann, soll der Junge den Fischkopf nicht an die Schule verschenken? Sie sind doch sonst immer dafür, wenn es um eine gute Schule geht.«
    »Schon, schon, Herr Lehrer, aber wissen Sie, wenn der Hechtkopf erst an der Wand hängt, dann ist es aus mit dem Fisch. Kein Zentimeterchen wird der Hecht dann noch wachsen in den nächsten Jahren. Jeder kann genau sehen, wie groß er gewesen ist, und jeder wird wissen, dass er 28 Pfund gewogen hat und ein halbes dazu.«
    »Er wird nicht mehr wachsen? Friedrich Bienmann, haben Sie je einen Fisch gesehen, der tot auf dem Tisch gelegen hat und doch noch gewachsen ist?«
    »Aber ja«, sagte der alte Mann. »Denkt an den Karpfen, Männer, den Pilar vor zehn Jahren gefangen hat. Moos hatte der auf dem Rücken und talergroße Schuppen. Jedes Jahr ist der Fisch ein Stückchen gewachsen. Und wenn die Leute im Dorf heute von Pilars Karpfen erzählen, dann ist er schwer wie ein Seehund und seine Schuppen sind groß wie Untertassen gewesen. Und solch ein Fisch«, er zeigte mit der ausgestreckten Hand auf den Hecht, »solch ein Fisch ist das auch. Dem Karpfen und dem Hecht geht es wie den Königen. Je länger sie tot sind, umso größer werden sie.«
    Nun versuchte der Lehrer den Hecht kleiner zu machen. Er erzählte davon, dass in jener Gegend, aus der er stammte, weit weg von Ostpreußen, am Niederrhein, die Fischer Salme fingen von 50 und mehr Pfund Gewicht, ja, dass noch in dem Jahre, als er weggegangen war, ein Stör ins Netz gegangen sei, der an die 90 Pfund auf die Waage gebracht habe.
    »Wie lange sind Sie schon weg?«, fragte ihn der alte Mann.
    »Sie wissen es doch. Seit drei Jahren bin ich hier Lehrer.«
    »Für drei Jahre ist Ihr Stör aber ganz schön gewachsen«, lachte der alte Mann. »Sie sehen, wie es mit den toten Fischen geht.«
    »Ich habe ihm kein Pfund dazugegeben«, verteidigte sich der Lehrer. »Wenn einer von euch mal an den Niederrhein kommen sollte, dann fragt doch danach. Jeder kann euch bestätigen, dass die Salme und die Störe so schwer und noch schwerer sein können, wenn sie den Rhein hinaufziehen.«
    »Warum sind Sie dann hergekommen, wenn es in Ihrer Heimat so große Fische gibt, wenn Sie in einem Steinhaus gewohnt haben und wenn Ihr Dom so groß ist, dass mehr als tausend Leute in den Bänken sitzen können?«, fragte Lenski hämisch. »Was waren das für Sünden, die Sie aus dem Paradies vertrieben haben?«
    Der Lehrer verstummte. Schließlich sagte er: »Kinder gibt es überall. Lehrer werden überall gebraucht.« Dann zog er sich den Pelz über und ging hinaus.
    »Irgendetwas steckt dahinter, dass er hier Lehrer ist«, vermutete Lenski. »Warum kommt solch ein Mensch sonst zu uns in den Osten, in ein Dorf an der Grenze?«
    Inzwischen hatten die Frauen auf dem großen Herd am anderen Ende der Stube aus den Barschen und den kleineren Hechten eine Fischsuppe gekocht.
    Jeder probierte davon und Lenski sagte: »Solltest deine Alte mitnehmen, Meister, wenn wir im Sommer auf den Bau gehen. Oder doch wenigstens deine Schwiegertochter, die Marie. Dann bekäme der ganze Trupp gutes Essen zwischen die Rippen und nicht immer nur den Fraß, den die Lehrlinge kochen.«
    »Ein fetter Ochse arbeitet nicht gern«, wehrte der alte Mann ab. »Und außerdem, weiß der Kuckuck, ob wir im Frühjahr überhaupt losziehen. Die Zeiten sind schlecht. Die Ernte war mager. Wer kann sich in solchen Tagen schon ein Haus bauen lassen? Jedenfalls habe ich noch nicht einen einzigen Auftrag.«
    »Wir müssten in die Staaten gehen«, sagte Gerhard Warich, ein kleiner Mann, dessen blasses Gesicht beinahe ganz unter der Pelzmütze verschwand. »Mein Bruder Bruno hat mir geschrieben. Gute Zeiten sind dort für Zimmerleute. Sie hatten Krieg dort. Viele Häuser sind abgebrannt. Da haben Zimmerleute alle Hände voll zu tun.«
    »Dem Krieg folgt der Hunger, Gerhard Warich. Das weiß doch jeder. Was sollen wir in einem Land, in dem der Krieg erst gerade zu Ende ist?«, sagte der alte Mann.
    »In Amerika ist alles anders«, ereiferte sich Warich. »Mein Bruder Bruno schreibt, ich könnte mir keine
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