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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B.
Autoren: Willi Faehrmann
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auf dem Dachfirst gestanden und den Richtkranz aufgehängt. Was ist bloß aus dir geworden, Friedrich? Du glaubst vielleicht, der Karl hat dir das Mark aus den Knochen gesogen. Schau deine Schwiegertochter an. Marie hätte allen Grund den Kopf hängen zu lassen. Eine junge Frau ist sie und sitzt allein hier, ohne Mann. Aber sie rackert und schuftet von früh bis spät und keiner von uns hat sie je klagen hören. Hör auf dich selbst zu bemitleiden, Friedrich. Nicht überall sind die Zeiten schlecht.«
    »Was willst du von mir, Frau?«, sagte der alte Mann verdrießlich. »Soll ich etwa nach Amerika gehen und dort mein Glück ver­suchen?«
    »Ja, das sollst du.«
    Einen Augenblick schwiegen alle verblüfft.
    »Du willst wirklich, dass ich . . . «, stammelte der alte Mann.
    »Du kannst Vater doch nicht wegschicken«, sagte Mathilde.
    »Du glaubst, Frau, ihr könntet ohne mich, ohne Mann, zwei Jahre oder länger hier fertig werden mit Haus und Hof?«
    Der alte Mann beugte sich über den Tisch und starrte seine Frau an, als habe er sie schon lange nicht mehr gesehen.
    »Ja, Friedrich. Marie ist mir eine gute Tochter. Mathilde ist im Gut versorgt. Unsere Mädchen gehen mir hier zur Hand. Und schließlich kommt der Junge auch im Frühjahr aus der Schule.«
    »Ein starkes Weib, wer wird es finden?«, schrie der alte Mann. »Wenn ich auch nur einen einzigen glücklichen Griff im Leben tat, dann war es der, mit dem ich dich packte. Es war ein Glückstag für mich, an dem ich zu euch aufs Gut kam und dich fragte, ob du mich heiraten willst.«
    Er sprang auf, umfasste seine Frau von hinten und küsste sie. »Wir werden dem Baron den Fisch nicht verkaufen«, rief er übermütig. »Wir werden ihm den Fisch schenken. Was sagst du dazu, Luke, mein Enkel?«
    »Mir ist es gleich, was mit dem Fisch geschieht, Großvater. Ich habe ihn ja gefangen. Mehr will ich nicht von ihm.«
    »Warum willst du ihn verschenken, Vater?«, fragte Mathilde. »Der Baron hat genug Geld. Er kann dafür bezahlen.«
    »Ich will, dass der Baron zufrieden lacht. Dann werde ich ihn fragen, ob er etwas dagegen hat, wenn ich ihm die Schulden in goldenen Dollars bezahle.«
    »Musst du ihn fragen, wenn du übers Meer fahren willst, Groß­vater?«
    »Eigentlich nicht. Aber weißt du, Luke, Schulden können einen Mann fesseln. Er soll mir versprechen, dass er zwei Jahre lang das Haus und den Hof nicht anrührt. Und die 180 Taler, die ich ihm heute zurückzahlen wollte, die muss er mir auch noch lassen, damit die Überfahrt bezahlt werden kann.«
    »Du hast dich also entschlossen nach drüben zu gehen?«
    »Ja, Frau, was bleibt mir anderes übrig, wenn du mich aus dem Hause jagst?«, lachte der alte Mann und er war fröhlich wie seit Wochen schon nicht mehr.
    »Weißt du eigentlich, dass dir trotz all deiner Jahre noch kein einziger Zahn fehlt?«, fragte die Großmutter.
    »Warum sagst du das?«
    »Zeig dem Baron die Zähne, Friedrich Bienmann. Zeig ihm, dass du die Zähne noch aufeinander beißen kannst.«
    Er zog sich die schwarze Tuchjacke über. Sie stammte von seinem Hochzeitsanzug. Nie hatte er Gelegenheit gehabt Fett anzusetzen. Die Jacke spannte sich nur in den Schultern ein wenig. Seine Frau half ihm in den Pelz.
    Er rief nach Mathilde und dem Jungen, doch die hatten den Fisch bereits vom Ast geschnitten, an den er in der Nacht gehängt worden war. Er war steif gefroren. Sie legten ihn auf ein sauberes Tuch, packten die Enden und trugen den Fisch zwischen sich. Mathilde war nicht größer als der Junge, den sie oft im Scherz »Neffe« nannte, was er mit einem spöttischen »Tante« quittierte. Wenn sie ihn gar zu sehr ärgerte, rief er ihr auch »Rotkohl« nach. Aber das konnte er nur aus sicherer Entfernung wagen, denn Mathilde hatte gelernt sich zu verteidigen, wenn sie einer wegen ihrer flammroten Haare neckte.
    Als sie sich verabschiedeten, flüsterte die Mutter dem Jungen zu: »Achte auf das Bild, wenn du in das Zimmer des Barons kommst.«
    Es war eine reichliche halbe Stunde Weg bis zum Gutshof. Vom Herrenhaus her bimmelte die Glockenuhr halb zehn, als sie in die lange, schnurgerade Birkenallee einbogen, die genau auf die Freitreppe des Gutshauses zuführte.
    »Viel Glück«, sagte Mathilde und betrat durch den Nebeneingang den Wirtschaftsflügel des Herrenhauses. Der Junge trug den Fisch allein die Treppenstufen hinauf.
    Sie öffneten die große Flügeltür. Ein helles Glockenspiel schlug an. Eine ältere Magd im schwarzen Kleid und weißer Schürze
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