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Der Lange Weg Des Lukas B.

Der Lange Weg Des Lukas B.

Titel: Der Lange Weg Des Lukas B.
Autoren: Willi Faehrmann
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wenn sie noch bei trübem Licht in der Hütte saßen, gab er nicht eher Ruhe, bis sie ihn beim Kartenspiel mitmachen ließen. Er war einer der wenigen, die beim Spiel kein Lehrgeld bezahlen mussten, denn er spielte gut und meistens war das Glück auf seiner Seite.
    Tausendmal hatte der alte Mann sich ausgemalt, wie es geworden wäre, wenn Karl auf dem vorgezeichneten Weg vorwärts gegangen wäre. Aber er wusste, dass jedes »Wenn« und »Aber« zu spät kam. Karl war verschwunden und der alte Mann saß da mit den Schulden seines Sohnes, Schulden, die genau 2000 Taler betrugen. 2000 Taler waren für das Zimmergeschäft selbst in guten Jahren eine große Summe. Aber es war wie verhext. Seit Karl weg war, hatte ihn das Glück verlassen. Die Kartoffelfäule und drei verregnete Getreideernten hintereinander hatten die Leute arm gemacht. Vom Gut kamen nur kleine Aufträge. Die ausstehenden Gelder waren nicht einzutreiben. Was sollte er dem Baron am Morgen sagen, wenn er wieder einmal die vereinbarten 500 Taler nicht zurückzahlen konnte? Vielleicht sollte ich doch mein Glück in den Staaten versuchen, dachte der alte Mann.
    Fast die Hälfte aller Männer im Dorf trug stolz den goldenen Ring im rechten Ohr, das Zeichen der Zimmerleute, und alle hatten das Handwerk bei ihm oder bei seinem Vater gelernt. Jeden Sommer zogen sie auf den Bau, manchmal bis weit nach Russisch-Polen hinein. Aber durfte er die Kolonne für zwei Jahre oder länger aus dem Dorf in eine unbekannte, gefährliche Ferne führen? Es fielen ihm auch die Frauen ein, die dann ohne Männer auf Jahre allein wirtschaften mussten, und er schob diesen Gedanken gleich wieder von sich. Gegen Morgen sank er in einen flachen Schlaf. Niemand brauchte ihn zu wecken. Als Marie in der Küche zu hantieren begann, stand er auf, versorgte die beiden Pferde, die Kuh, die Schweine, rasierte sich sorgfältig und nahm seinen schwarzen Rock aus dem Schrank. Er öffnete das Schlafzimmerfenster und hängte den Anzug an die Luft. Der Geruch des Mottenpulvers war ihm widerlich.
    Zum Frühstück gab es wie immer trockenes Brot, Milch und ein Stück Speck.
    »Nimmst du mich wirklich mit zum Gutshof?«, fragte der Junge. »Versprochen ist versprochen, Luke«, stimmte der alte Mann zu. Mathilde ermahnte ihn eifrig: »Willst du nicht üben, wie man sich im Gutshaus benimmt?«
    »Wie soll ich mich benehmen?«
    »Nun, du machst es wie die Knechte vom Gut, wenn der Baron aus der Stadt kommt. Du klopfst leise an die Tür. Wenn dann drinnen der Baron ›Herein‹ schreit, dann öffnest du langsam die Tür, gehst auf ihn zu, ohne dich im Zimmer umzuschauen, verneigst dich und wartest, bis er dich anspricht.«
    »Ist das alles?«
    »Nun, wenn du seine Hand erwischst, dann musst du die küssen«, neckte ihn Mathilde.
    »Macht man das wirklich so?«
    »Alle Leute vom Gut tun das.«
    Ärgerlich fuhr der alte Mann dazwischen: »Ich habe noch niemals einem Menschen die Hand geküsst. Sage nur deutlich und laut ›Guten Morgen, Herr Baron‹ und alles andere wird sich dann finden.«
    »Und wenn er mir die Hand gibt?«
    »Dann fasse nur kräftig zu und schüttle sie.«
    Jedenfalls beschloss der Junge sich die Hand sauber zu bürsten; denn immer noch fanden sich winzige Fischschuppen vom vergangenen Tag, die fest auf der Haut klebten.
    »Wo ist eigentlich mein Fisch, Mutter?«, fragte er.
    »Ich habe ihn in der Nacht in den Frost gehängt«, antwortete sie. »In der Kälte hält er sich am längsten.«
    »Richtig, der Fisch«, sagte der alte Mann. »Was machen wir mit dem Fisch?«
    »Wir könnten ihn für Sonntag spicken und braten«, sagte die Großmutter.
    »Und wenn wir ihn im Gut verkaufen würden? Ich denke, dass sie uns wenigstens zwei Taler zahlen für solch ein Prachtexemplar.«
    »Alles willst du zu Geld machen, Friedrich Bienmann. Ich kenne dich kaum wieder.«
    »Alles will ich nicht zu Geld machen, Hedwig. Dieses Haus nicht und nicht das Geschäft. Aber ob es uns je gelingt, dies alles zu behalten, das weiß der Himmel.«
    »Lass den Himmel, Friedrich Bienmann. Die Zeiten, in denen die Sterntaler vom Himmel gefallen sind, die sind längst vorbei. 2000 Taler, Friedrich, die solltest du schon schaffen. Die hast du in guten Jahren in einem einzigen Sommer verdient.«
    »Die guten Jahre sind dahin, Hedwig. Ich bin nun wirklich ein alter Mann geworden und die Zeiten sind schlecht.«
    »Ein alter Mann bist du mit deinen 57 Jahren?« Die Großmutter lachte bitter auf. »Dein Vater hat mit 70 noch
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