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Der Landarzt (German Edition)

Der Landarzt (German Edition)

Titel: Der Landarzt (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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große Unruhe Türen und Fensterläden geschlossen; er kehrte also auf die Hauptstraße zurück, deren Pappeln keine Blätter mehr hatten. Beim Einbiegen bemerkte er den alten Arbeiter, der fast sonntäglich gekleidet war und langsam, ganz allein und ohne Werkzeuge, dahinging. »Guten Tag, Gevatter Moreau.«
    »Ach, guten Tag, Herr ... Ich erkenne Sie wieder,« fügte der Biedermann nach einem Augenblick des Schweigens hinzu. »Sie sind ein Freund unseres seligen Herrn Bürgermeisters! Ach, Herr, wäre es nicht besser, der liebe Gott nähme an seiner Statt einen armen Gichtkranken wie mich? Ich bin hier nichts, während er jedermanns Freude war.«
    »Wißt Ihr, warum niemand bei der Fosseuse ist?«
    Der Biedermann sah zum Himmel auf.
    »Wieviel Uhr ist's, Herr? Man sieht die Sonne nicht,« sagte er.
    »Es ist zehn.«
    »Nun, dann ist sie in der Messe oder auf dem Friedhofe. Sie geht alle Tage hin; sie hat fünftausend Livres Rente und ihr Haus auf Lebenszeit geerbt; sie ist aber fast wahnsinnig über seinen Tod ...«
    »Wohin geht Ihr denn, lieber Mann?«
    »Zur Beerdigung des armen kleinen Jacques, der mein Neffe ist. Der kleine Kranke ist gestern morgen gestorben. Es schien wirklich, als ob ihn der liebe Monsieur Benassis am Leben hielte. All das junge Volk das stirbt!« fügte Moreau mit einer halb jämmerlichen, halb spöttischen Miene hinzu.
    Beim Einreiten in den Flecken hielt Genestas sein Pferd an, da er Gondrin und Goguelat erblickte, die beide mit Hacken und Schaufeln ausgerüstet waren.
    »Nun, meine alten Soldaten,« rief er ihnen zu, »wir haben also das Unglück gehabt, ihn zu verlieren!« ...
    »Genug, genug, Herr Offizier,« antwortete Goguelat mit mürrischem Tone; »wir wissen es genau, wir haben gerade Rasenstücke für sein Grab ausgestochen!« »Wird sein Leben sich nicht schön erzählen lassen?« fragte Genestas.
    »Ja,« erwiderte Goguelat, »bis auf die Schlachten ist er der Napoleon unseres Tales.«
    Als Genestas vor dem Pfarrhause anlangte, erblickte er Butifer und Adrien mit Monsieur Janvier plaudernd vor der Türe; letzterer hatte zweifelsohne gerade Messe gelesen. Sobald Butifer sah, daß der Offizier absitzen wollte, kam er, sein Pferd zu halten, und Adrien fiel seinem Vater um den Hals, der ganz gerührt über diesen Ueberschwang war; doch verbarg der Militär seine Gefühle und sagte zu ihm:
    »Du bist ja wieder prächtig auf dem Damm, Adrien! Donnerwetter, dank unserem armen Freunde bist du fast ein Mann geworden. Ich werde Butifer, deinen Lehrmeister, nicht vergessen!«
    »Ach, Herr Oberst,« sagte Butifer, »nehmen Sie mich mit in Ihr Regiment! Seit der Herr Bürgermeister tot ist, hab' ich Angst vor mir. Wollte er nicht, daß ich Soldat würde? Schön, ich werd' seinen Willen tun. Er hat Ihnen gesagt, wer ich war, Sie werden etwas Nachsicht mit mir haben ...«
    »Abgemacht, mein Braver,« sagte Genestas, in seine Hand einschlagend. »Sei ruhig, ich werd' für eine schöne Verwendung sorgen.« »Nun, Herr Pfarrer?« ...
    »Ich, Herr Oberst, bin ebenso betrübt, wie es alle Leute des Bezirks sind, fühle aber lebhafter als sie, wie unersetzlich der Verlust ist, den wir erlitten haben. Der Mann war ein Engel! Glücklicherweise ist er gestorben, ohne zu leiden. Gott hat mit wohltätiger Hand die Bande eines Lebens gelöst, das für uns eine beständige Wohltat war.« »Kann ich Sie, ohne unbescheiden zu sein, bitten, mich zum Friedhof zu begleiten? Ich möchte ihm so etwas wie ein Lebewohl sagen.«
    Butifer und Adrien folgten Genestas und dem Pfarrer, die plaudernd einige Schritte vor ihnen hergingen. Als der Oberstleutnant den Flecken hinter sich hatte und auf den kleinen See zuging, bemerkte er auf der Rückseite des Berges ein großes, mit Mauern umgebenes Felsengelände.
    »Das ist der Friedhof,« sagte der Pfarrer zu ihm. »Gerade vor drei Monaten fielen ihm als erstem die Nachteile auf, die sich aus der Nachbarschaft der Kirchhöfe, die um die Kirchen herum liegen, ergaben; und, um das Gesetz durchzuführen, das ihre Verlegung auf eine gewisse Entfernung von den Wohnstätten verlangt, hat er selber der Gemeinde das Terrain geschenkt. Wir werden heute dort einen kleinen armen Knaben begraben: haben also damit begonnen, Unschuld und Tugend dort zu bestatten. Ist der Tod nicht ein Lohn? Gibt Gott uns damit, daß er zwei vollkommene Geschöpfe zu sich ruft, nicht eine Lehre? Gehen wir nicht zu ihm ein, nachdem wir in jungen Jahren durch physische und im vorgeschrittenen Alter durch
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