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Der Landarzt (German Edition)

Der Landarzt (German Edition)

Titel: Der Landarzt (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Offizier aber, der zweifelsohne die Länder durcheilt hatte, in welche die französischen Armeen durch die kaiserlichen Kriege geführt wurden, genoß diese Landschaft, ohne indes durch die Mannigfaltigkeit ihrer wechselnden Bilder überrascht zu erscheinen. Erstaunen ist ein Gefühl, das Napoleon in der Seele seiner Soldaten zerstört zu haben scheint: so ist denn auch die Ruhe des Antlitzes ein sicheres Zeichen, woran ein Beobachter Männer erkennen kann, die ehedem unter den vergänglichen, aber unvergeßlichen Adlern des großen Kaisers eingereiht gewesen sind. Dieser Mann war tatsächlich einer der jetzt ziemlich seltenen Militärs, welche die Kugel verschont hat, obwohl sie sich auf allen Schlachtfeldern, wo Napoleon befehligte, geschlagen haben. Sein Leben hatte nichts Ungewöhnliches an sich. Er hatte sich als einfacher und treuer Soldat wacker gehalten, war, ob er seinem Herrn nahe oder fern, seiner Pflicht bei Nacht wie bei Tag nachgekommen, hatte nie einen zwecklosen Säbelhieb getan, war aber auch nicht fähig gewesen, einen zuviel auszuteilen. Wenn er in seinem Knopfloch die den Offizieren der Ehrenlegion gebührende Rosette trug, so geschah das, weil sein Regiment ihn einstimmig nach der Schlacht an der Moskwa als den Würdigsten bezeichnet hatte, der sie an diesem großen Tage erhalten sollte. Er gehörte zu der Zahl jener anscheinend kühlen und schüchternen Männer, die immer in Frieden mit sich leben, deren Gewissen allein durch den Gedanken erregt wird, ein Gesuch, welcher Art es auch sein möge, betreiben zu sollen, und deren Beförderung nach den langsamen Gesetzen des Dienstalters erfolgt. Obschon er 1802 Unterleutnant geworden, war er trotz seines grauen Schnurrbarts 1829 erst Eskadronchef; sein Leben war jedoch so untadelig, daß sich ihm kein Mann aus der Armee, und wäre er auch General, näherte, ohne ein Gefühl unwillkürlichen Respektes zu empfinden; ein unbestrittener Vorzug, den seine Vorgesetzten ihm vielleicht nicht verziehen. Zum Lohne dafür zollten die einfachen Soldaten ihm alle ein weniges von jenem Gefühl, das Kinder für eine gute Mutter hegen; denn ihnen gegenüber wußte er duldsam und streng zugleich zu sein. Ehedem war er ja Soldat wie sie gewesen und kannte die traurigen Freuden und die freudigen Miseren, die verzeihlichen oder strafbaren Verstöße der Soldaten, die er stets seine Kinder nannte, und die er im Felde gern Lebensmittel oder Futter bei den Bürgern auftreiben ließ. Was seine intime Geschichte anlangte, so war sie in tiefstes Dunkel gehüllt. Wie fast alle Militärs jener Epoche hatte er die Welt nur durch den Kanonenrauch oder während der so seltenen Friedensmomente inmitten des vom Kaiser unterhaltenen europäischen Ringens gesehen. Hatte er ans Heiraten gedacht oder nicht? Die Frage blieb unentschieden. Obwohl niemand bezweifelte, daß der Major Genestas, als er so von Stadt zu Stadt, von Landschaft zu Landschaft zog und den von den Regimentern und für sie gegebenen Festen beiwohnte, Frauengunst genossen habe, hatte doch niemand die geringste Gewißheit darüber. Ohne prüde zu sein, ohne eine Lustpartie auszuschlagen, ohne die militärischen Sitten zu verletzen, schwieg er sich aus oder antwortete mit einem Gelächter, wenn er nach seinen Liebschaften gefragt wurde. Auf die Worte: »Und Sie, lieber Major?«, die von einem Offizier beim Trinken an ihn gerichtet wurden, erwiderte er:
    »Trinken wir, meine Herren!«
    Als eine Art Ritter ohne Furcht und Tadel, ohne damit zu prunken, zeigte Monsieur Pierre-Joseph Genestas weder etwas Poetisches noch Romantisches an sich, so durchschnittlich erschien er. Sein Gehaben war das eines reichen Mannes. Obwohl sein Vermögen nur in seinem Sold bestand und sein Abschied mit Pension seine ganze Zukunft war, hatte der Eskadronschef, den alten, mit allen Wassern gewaschenen Handelswölfen gleich, denen Rückschläge eine Erfahrung, die an Eigensinn grenzt, verliehen haben, immer den Sold für zwei Jahre als Rücklage und gab seine Bezüge niemals ganz aus. Er war so wenig Spieler, daß er seine Stiefel beschaute, wenn man in Gesellschaft einen Ersatzspieler oder beim Écarté einen Einsatzzuschuß verlangte. Wenn er sich nichts Außergewöhnliches erlaubte, fehlte ihm doch nichts, dessen er bedurfte. Länger als bei jedem anderen Regimentsoffiziere hielten seine Uniformen infolge der Sorgfalt, die ein bescheidenes Einkommen erzeugt, und die bei ihm eine ganz mechanische Gewohnheit geworden war. Vielleicht würde man
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