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Der Landarzt (German Edition)

Der Landarzt (German Edition)

Titel: Der Landarzt (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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ich einen armen Kleinen von zehn Jahren, der keine Hände hatte.
    ›Der liebe Gott hat mich erhört!‹ dachte ich. – Nie hatte ich so gebetet, wie ich es in jener Nacht getan. – Ich will für diesen armen Kleinen sorgen, wir werden zusammen betteln und ich will seine Mutter sein. Zu zweit muß man mehr Erfolg haben, für ihn werd' ich vielleicht mehr Mut haben, als ich für mich allein besitze! Zuerst schien mir der Kleine zufrieden; es wäre ihm auch recht schwer gefallen, es nicht zu sein; denn ich tat alles, was er wollte, gab ihm das Beste, was ich hatte, kurz ich war sein Sklave und er tyrannisierte mich; doch das schien mir immer noch besser, als allein zu sein. Bah! sobald der kleine Trunkenbold wußte, daß ich oben in meinem Kleide zwanzig Franken hatte, hat er es aufgetrennt und mir mein Goldstück, den Preis für meinen armen Pudel, gestohlen. Ich wollte Messen dafür lesen lassen ... Ein Kind ohne Hände! Das machte mich zittern. Dieser Diebstahl nahm mir den Lebensmut. Ich konnte also nichts lieben, alles verdarb mir unter den Händen! Eines Tages sah ich eine hübsche französische Kalesche kommen, welche die Steigung nach les Échelles hinauffuhr. Darinnen befand sich eine junge Dame, hübsch wie eine Jungfrau Maria, und ein ihr ähnlich sehender junger Mann.
    ›Sieh doch das hübsche Mädchen!‹ sagte der junge Mann und warf mir ein Geldstück zu.
    Sie allein, Monsieur Benassis, können sich das Glück ausmalen, das mir dieses Kompliment bereitete, das einzige, das ich jemals gehört habe; doch der Herr hätte mir auch kein Geld hinwerfen sollen. Durch tausend unbekannte Gedanken, die mir den Kopf verdrehten, getrieben, fing ich sofort an, die Abkürzungspfade hinaufzulaufen, und da hatte ich in den Felsen von les Échelles bald den Wagen überholt, der ganz sacht hinauffuhr. Ich hab' den jungen Mann wiedersehen können; er ist ganz überrascht gewesen, mich wiederzufinden, und ich, ich war so froh, daß mir das Herz bis in die Kehle schlug; eine Art Instinkt zog mich zu ihm hin. Als er mich wiedererkannt hatte, hub ich von neuem zu laufen an, da ich mir wohl denken konnte, daß die junge Dame und er verweilen würden, um den Wasserfall von Couz zu sehen. Als sie heruntergekommen sind, haben sie mich nochmals unter den Nußbäumen des Weges gesehen; da sie scheinbar Anteil an mir nahmen, haben sie dann allerlei Fragen an mich gerichtet. Nie in meinem Leben hab' ich sanftere Stimmen gehört als die des jungen Mannes und seiner Schwester; denn sicherlich war sie seine Schwester. Ein Jahr lang hab' ich an sie gedacht, immer hoffte ich, sie würden wiederkommen. Zwei Jahre meines Lebens würd' ich hingegeben haben, nur um diesen Reisenden wiederzusehen, er schien so sanft! Das sind bis zu dem Tage, da ich Monsieur Benassis kennengelernt habe, die größten Ereignisse meines Lebens; denn als meine Herrin mich fortgeschickt hat, weil ich ihr elendes Ballkleid angezogen hatte, hab' ich Mitleid mit ihr empfunden und habe ihr verziehen, und bei meiner Mädchenehre, wenn Sie mir gestatten, frei heraus zu sprechen, ich habe mich für viel besser als sie gehalten, obwohl sie Gräfin war.«
    »Nun,« sagte Genestas nach einem Augenblick des Schweigens, »Sie sehen, daß Gott Sie liebgewonnen hat, hier sind Sie, wie der Fisch im Wasser.«
    Bei diesen Worten blickte die Fosseuse Benassis mit Augen voller Dankbarkeit an.
    »Ich möchte reich sein!« sagte der Offizier.
    Diesem Ausrufe folgte ein tiefes Schweigen.
    »Sie schulden mir eine Geschichte!« sagte die Fosseuse endlich in schmeichelndem Tone.
    »Ich will sie Ihnen erzählen,« sagte Genestas. –
    »Am Abend vor der Schlacht bei Friedland,« fuhr er nach einer Pause fort, »war ich mit einem Auftrag ins Quartier des Generals Davoust geschickt worden und kehrte nach meinem Biwak zurück, als ich mich an einer Wegbiegung dem Kaiser gegenüber sehe. Napoleon sieht mich an:
    ›Du bist der Rittmeister Genestas?‹ sagt er zu mir.
    ›Jawohl, Sire.‹
    ›Du bist mit in Aegypten gewesen?‹
    ›Jawohl, Sire.‹
    ›Reite auf diesem Wege hier nicht weiter,‹ sagt er zu mir, ›halt dich links, du wirst dann schneller zu deiner Division stoßen.‹
    Sie können sich nicht denken, mit welch einem gütigen Tone der Kaiser diese Worte zu mir sagte; er, der soviel Wichtigeres zu tun hatte; denn er jagte durchs Gelände, um sein Schlachtfeld kennenzulernen. Ich erzähle Ihnen dieses Erlebnis, um Ihnen zu zeigen, was für ein Gedächtnis er hatte, und auch damit
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