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Der Landarzt (German Edition)

Der Landarzt (German Edition)

Titel: Der Landarzt (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Monsieur Benassis. Jacquotte, die müde vom Wäschewaschen war, legte sich schlafen, vorher gab sie mir den Brief und bat mich, den Tee in unserem Zimmer an Monsieur Benassis' Feuer zu bereiten; denn ich schlafe noch bei ihm in meinem Roßhaarbett. Ich machte das Feuer im Salon aus und ging hinauf, um meinen guten Freund zu erwarten. Ehe ich den Brief auf den Kamin legte, sah ich mir in einer Regung von Neugier Poststempel und Schrift an. Der Brief kam aus Paris und die Adresse schien mir eine Frau geschrieben zu haben. Ich sage Ihnen das des Einflusses wegen, den dieses Schreiben auf das Ereignis gehabt hat. Gegen zehn Uhr hörte ich Pferdegetrappel und dann Monsieur Benassis zu Nicolle sagen:
    ›Es ist eine Hundekälte, ich fühle mich nicht wohl.‹
    ›Wünschen Sie, daß ich Jacquotte wecke?‹
    ›Nein, nein!‹
    Und er kam herauf.
    ›Ich hab' Ihnen Ihren Tee gemacht!‹ sagte ich zu ihm.
    ›Danke, Adrien,‹ antwortete er, mich, Sie wissen ja wie, anlächelnd.
    Das war sein letztes Lächeln. Er nahm dann seine Halsbinde ab, wie wenn er ersticke.
    ›Es ist heiß hier!‹ sagte er. Dann warf er sich in einen Sessel.
    ›Es ist für Sie ein Brief angekommen, mein lieber Freund, hier ist er,‹ sage ich zu ihm.
    Er nimmt den Brief und ruft:
    ›Ach, mein Gott, vielleicht ist sie frei!‹
    Dann hat er sich mit dem Kopf nach vorn geneigt und seine Hände haben gezittert; endlich stellte er ein Licht auf den Tisch und brach das Schreiben auf. Der Ton seines Ausrufs war so erschreckend, daß ich ihn, während er las, betrachtete; und ich sah ihn rot werden und weinen. Dann fällt er plötzlich mit dem Kopf voran hin, ich hebe ihn auf und sehe sein Gesicht ganz blau.
    ›Ich bin tot,‹ sagte er stammelnd und versuchte mit furchtbarer Anstrengung sich zu erheben. ›Laßt mir zur Ader, laßt mir zur Ader!‹ rief er, mich bei der Hand packend ... Adrien, verbrenne den Brief hier!‹ ...
    Und er hielt mir den Brief hin, den ich ins Feuer warf. Ich rufe Jacquotte und Nicolle; doch nur Nicolle hört mich. Er kommt herauf und hilft mir, Monsieur Benassis auf mein kleines Feldbett zu legen, Er hörte nicht mehr, unser guter Freund! Seit diesem Augenblicke hatte er wohl die Augen offen, sah aber nichts mehr. Nicolle, der sich aufsetzte, um Monsieur Bordier, den Chirurgen, zu holen, hat im Flecken Alarm geschlagen. In einem Augenblick ist dort alles auf den Beinen gewesen. Monsieur Janvier, Monsieur Dufau, alle, die Sie kennen, sind sofort gekommen. Monsieur Benassis war beinahe tot, es gab keine Hilfe mehr. Monsieur Bordier hat ihm die Fußsohle verbrannt, ohne ein Lebenszeichen zu erhalten. Es war ein Gichtanfall und ein Gehirnschlag zugleich. Ich teile Ihnen getreulich alle diese Einzelheiten mit, weil ich weiß, lieber Vater, wie sehr Sie Monsieur Benassis lieben. Ich für meine Person bin sehr traurig und bekümmert. Ich kann Ihnen sagen, daß ich außer Ihnen niemanden mehr geliebt habe. Wenn ich abends mit dem guten Monsieur Benassis plauderte, hatte ich mehr Nutzen davon, als ich durch die ganze Gymnasiumslernerei gewann. Als am anderen Morgen sein Tod im Flecken bekannt wurde, gab es ein unglaubliches Schauspiel. Der Hof, der Garten waren gedrängt voll Menschen. Es war ein allgemeines Weinen und Schreien! Kurz, niemand hat gearbeitet, jeder erzählte, was Monsieur Benassis zu ihm gesagt hatte, als er das letztemal mit ihm gesprochen. Der Eine berichtete, was er ihm alles Gutes getan hatte; die weniger Gerührten sprachen für die anderen. Die Menge wuchs von Stunde zu Stunde, und jeder wollte ihn sehen. Die Trauernachricht hat sich schnell verbreitet, die Leute aus dem Bezirke und selbst die der Umgebung haben alle den nämlichen Gedanken gehabt: Männer, Frauen, Mädchen und Jungen sind aus zehn Meilen in der Runde nach dem Flecken gekommen. Als das Trauergeleite sich bildete, wurde der Sarg von den vier ältesten Leuten der Gemeinde in die Kirche getragen, aber unter unendlichen Mühen; denn zwischen Monsieur Benassis' Hause und der Kirche standen etwa fünftausend Menschen, von denen die meisten wie bei der Prozession niederknieten. Die Kirche konnte all die Menschen gar nicht fassen. Als der Gottesdienst begann, ist trotz der Wehklagen eine so große Stille eingetreten, daß man das Glöckchen und die Gesänge bis ans Ende der Grande-rue hören konnte. Als man die Leiche aber nach dem Friedhof tragen mußte, den Monsieur Benassis dem Flecken geschenkt hatte, ohne zu ahnen, der arme Mann, daß er dort als
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