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Der Landarzt (German Edition)

Der Landarzt (German Edition)

Titel: Der Landarzt (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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erster begraben werden sollte, erhob sich ein einziger Schrei des Jammers. Monsieur Janvier sprach die Gebete unter Tränen, und allen, die dort waren, standen Tränen in den Augen. Endlich ist er in die Erde gebettet worden. Am Abend hat sich die Menge zerstreut und jeder ist, Trauer und Klagen im ganzen Lande verbreitend, nach Hause gegangen. Am anderen Morgen haben sich Gondrin, Goguelat, Butifer, der Feldhüter und mehrere Leute zusammengetan, um auf dem Platze, wo Monsieur Benassis liegt, eine Art Erdpyramide zu errichten; sie soll zwanzig Fuß hoch und mit Rosen bedeckt werden, und alles will sich daran beteiligen. Das sind, mein lieber Vater, die Ereignisse, die seit drei Tagen vorgefallen sind. Monsieur Benassis' Testament ist von Monsieur Dufau ganz offen im Schreibtisch vorgefunden worden. Die Verwendung, die unser guter Freund von seinen Gütern macht, hat die Liebe, die man zu ihm hegt, und das durch seinen Tod hervorgerufene Bedauern, wenn es möglich ist, noch vermehrt. Jetzt, mein lieber Vater, erwarte ich durch Butifer, der Ihnen diesen Brief bringt, eine Antwort, in der Sie mir mein Verhalten vorschreiben. Wollen Sie mich abholen, oder soll ich zu Ihnen nach Grenoble kommen? Sagen Sie mir, was ich tun soll, und seien Sie meines vollkommenen Gehorsams gewiß.
    Leben Sie wohl, mein Vater; es grüßt Sie Ihr Sie innig liebender Sohn
    Adrien Genestas.«
    »Auf, ich muß hin!« rief der Soldat.
    Er befahl sein Pferd zu satteln und machte sich an einem jener Dezembermorgen auf den Weg, wo der Himmel mit einem grauen Schleier bedeckt, wo der Wind nicht stark genug ist, um den Nebel zu verjagen, durch den die kahlen Bäume und die feuchten Häuser ihr gewöhnliches Aussehen verlieren. Das Schweigen war trübe; denn es gibt auch strahlendes Schweigen. Bei schönem Wetter klingt das geringste Geräusch froh, bei düsterem Wetter aber ist die Natur nicht schweigsam, sie ist stumm. Der an den Bäumen haftende Nebel verdichtet sich zu Tropfen, die langsam wie Tränen auf die Blätter fielen. Oberst Genestas, dessen Herz durch Todesgedanken und tiefe Trauer bedrückt war, fühlte sich im Einklang mit dieser so traurigen Natur. Unwillkürlich verglich er den frohen Frühlingshimmel und das Tal, das er bei seiner ersten Reise so heiter gesehen hatte, mit dem melancholischen Anblick eines bleigrauen Himmels, mit den ihres grünen Schmuckes beraubten Bergen, die ihr Schneekleid, dessen Wirkungen der Anmut nicht ermangeln, noch nicht angelegt hatten. Ein nackter Erdboden ist ein schmerzlicher Anblick für einen Menschen, der zu einem Grabe geht; für ihn scheint dies Grab überall zu sein. Die schwarzen Fichten, die hier und da die Gipfel zierten, mischten Trauerbilder in alles, was des Offiziers Herz bewegte; auch konnte er jedesmal, wenn er das Tal in seiner ganzen Ausdehnung überblickte, nicht umhin, an das Unglück, das auf diesem Bezirke lastete, und an die Leere zu denken, die eines Mannes Tod dort schuf. Genestas erreichte bald die Stelle, wo er auf seiner ersten Reise eine Tasse Milch getrunken hatte. Als er den Rauch der Hütte sah, wo die Hospitalkinder aufgezogen wurden, dachte er besonders lebhaft an Benassis' wohltätigen Sinn und beschloß hineinzugehen, um in seinem Namen dem armen Weibe ein Almosen zu reichen. Nachdem er sein Pferd an einen Baum gebunden hatte, öffnete er, ohne anzuklopfen, die Haustür.
    »Guten Tag, Mutter,« sagte er zu der Alten, die er am Feuerwinkel und von ihren am Boden hockenden Kindern umgeben antraf, »erkennt Ihr mich wieder?«
    »Oh, sehr gut, mein lieber Herr. Sie sind an einem hübschen Frühlingstage vorbeigekommen und haben mir zwei Taler geschenkt.«
    »Hier, Mutter, das ist für Euch und die Kinder.«
    »Mein lieber Herr, ich danke Ihnen. Der Himmel möge Sie segnen.«
    »Dankt nicht mir; Ihr verdankt dies Geld dem armen Vater Benassis.«
    Die Alte hob den Kopf und blickte Genestas an.
    »Ach, mein Herr, obwohl er sein Gut unserem armen Lande vermacht hat und wir alle seine Erben sind, haben wir doch unseren größten Reichtum verloren; denn er lenkte alles zum Guten hier.«
    »Lebt wohl, Mutter; betet für ihn!« sagte Genestas, nachdem er den Kindern einen leichten Peitschenklaps gegeben hatte. Dann stieg er, von der ganzen kleinen Familie und der Alten begleitet, wieder zu Pferde und ritt weiter. Den Talweg verfolgend, fand er den breiten Saumpfad, der zur Fosseuse führte. Er kam auf der Rampe an, von wo aus er das Haus erblicken konnte, sah aber nicht ohne
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