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Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Titel: Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)
Autoren: Sarah Lukas
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death. Würde sie dann wieder mit Rafe vereint sein?
    Sie starrte auf die angestrahlten Türme der Kathedrale. Gott schätzte Selbstmord nicht sonderlich. Trotzig reckte sie das Kinn. Es gab keinen Gott. Wenn es ihn gäbe, wie hätte er Rafes Tod zulassen können? Ausgerechnet Rafe, der allen immer nur hatte helfen wollen! Stolz hatte er ihr einst erzählt, dass Raphael Gott heilt bedeute und er deshalb zum Arzt berufen sei. Aber Gott hatte ihn nicht geheilt. Und er heilt mich nicht.
    Bebend kletterte sie auf das breite Geländer, auf dem sie bei schönem Wetter bequem hätte sitzen und die Beine baumeln lassen können. Vorsichtig schob sie sich näher zum Rand. Jetzt, da nichts mehr zwischen ihr und den grauen Fluten tief unter ihr war, wurde ihr flau im Magen. Behutsam tastete sie mit den Füßen nach dem Sims am Fuß des Geländers und bekam weiche Knie, als der Untergrund unter ihrem Gewicht knirschte und ein wenig nachgab. Eine Metallleiste, die vermutlich irgendwelche Kabel abdeckte, nahm die Hälfte des schmalen Vorsprungs ein. Ängstlich verlagerte sie ihr Gewicht darauf, hielt sich jedoch weiter am Geländer fest. Leise schwappte das Wasser an den gemauerten Brückenpfeiler. Sie stellte sich vor, wie es ihre Kleider durchdringen und sie in die eisige Kälte des Todes hüllen würde.
    Als das Stampfen eines großen Dieselmotors in ihr Bewusstsein drang, erwachte sie wie aus einem Traum. Nein! Panisch klammerten sich ihre Finger an die steinerne Kante. Um keinen Preis wollte sie mit gebrochenen Gliedern auf dem Deck eines Ausflugsbootes landen und von Touristen begafft werden, die ihr Bild mit Fotohandys um die Welt schickten.
    Doch der Kiel, der seitlich und einige Meter tiefer in Sicht kam, gehörte zu keinem der modernen, fast gänzlich aus Glas bestehenden Schiffe, sondern zu einem älteren, dunkel gestrichenen Kahn, den der Besitzer zu einem schwimmenden Restaurant umgebaut hatte. Die Gäste blieben für Sophie unter dem Dach verborgen, doch durch die Fenster konnte sie Teile der sorgfältig gedeckten Tische sehen. Ihre Finger entspannten sich ein wenig. Sie musste nur noch warten, bis das Schiff ein Stück weg war. Niemand würde sie bemerken.
    Schräg unter ihr kam endlich das Heck des Schiffs zum Vorschein. Instinktiv presste sich Sophie enger an das Geländer, als sie die drei Männer entdeckte, die auf einem freien Platz hinter den Aufbauten standen und miteinander sprachen. Das Dröhnen des Motors, das vom Brückenbogen widerhallte, übertönte ihre Stimmen. Einer der drei zückte ein Feuerzeug und zündete sich eine Zigarette an.
    Sophies Herz setzte einen Schlag aus. Ungläubig starrte sie auf eines der Gesichter hinab, die im flackernden Lichtschein sichtbar geworden waren. Ihre Lippen bewegten sich, doch es kam kein Laut darüber, während das Boot auf die Durchfahrt zwischen der Île Saint-Louis und der Île de la Cité zuhielt. Als das Feuerzeug erlosch, senkte sich Dunkelheit über die Männer. Aus Sophies rauer Kehle löste sich ein Krächzen: »Rafe!«

D   ie Lähmung wich so plötzlich aus ihrem Körper, wie sie gekommen war. »Rafe!«, rief sie, dieses Mal lauter, doch es klang noch immer heiser und kläglich gegen das Tuckern des Motors und die zunehmende Entfernung.
    Hastig drehte sie sich auf dem schmalen Sims um, schwankte, warf sich mit einem Aufschrei quer über das Geländer und schlang die Arme darum, um sich festzuklammern. Schneller! Das Schiff ist gleich weg! Die Gummisohle ihres Schuhs rutschte ab, als sie ihr Bein aufs Geländer hob.
    Aufgeregte Stimmen und rasche Schritte kamen näher, aber Sophie hatte keine Zeit, auf Hilfe zu warten. Plötzlich fand sie doch noch Halt. Mit einer Kraft, die sie selbst verblüffte, zog und schob sie sich über den nassen Kalkstein, kam endlich auf der anderen Seite wieder auf die Füße und lief los, ohne sich nach den herbeigeeilten Leuten umzusehen. Erstaunte Ausrufe drangen an ihre Ohren, doch ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem umgebauten Lastkahn, dem die Strömung zusätzlich Fahrt verlieh. Sie rannte die Kaimauer entlang, vorbei an Treppen, die zur Wasserlinie hinabführten, verfluchte im Stillen die Kronen der von dort aufragenden Bäume, weil sie ihr immer wieder die Sicht raubten.
    Ihre Lungen begannen zu brennen. Ihr Herz raste. Wie oft hatte sie sich vorgenommen, mehr Sport zu treiben. Ein gutes Stück vor ihr verschwand das Schiff unter der nächsten Brücke.
    Sie hetzte weiter, hing einen Augenblick zwischen Stolpern und
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