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Der Kuss der Sirene

Der Kuss der Sirene

Titel: Der Kuss der Sirene
Autoren: Mandy Hubbard
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Cedar Cove ist es eigentlich eher mild, dabei aber regnerisch und windig, denn wir befinden uns direkt am Pazifischen Ozean.
    Ich bin noch nicht bereit für den Winter. Ich bin noch nicht bereit, die dunkle Jahreszeit, die langen Nächte und die kalten Morgenstunden mit feuchtkalten Haaren und noch kälterer Haut ein weiteres Mal durchzustehen.
    Ich greife nach dem Handtuch, das ich an einen Ast gehängt habe, trockne mich ab und schlüpfe wieder in meine Sachen. Der Marsch aus dem Wald dauert zwanzig Minuten und die Sonne kommt langsam hinter den Bergspitzen hervor. Als ich an der Straße angekommen bin, ist sie ganz über den Bergen aufgegangen. Der Weg zurück in die Stadt dauert eine halbe Stunde. Jeden Tag verschwende ich so viel Zeit mit Fahren und so viel Geld für Benzin. Mein Taschengeld reicht gerade so dafür.
    Als ich den Zündschlüssel in meinem verrosteten Toyota umdrehe, stottert er kurz und das Herz rutscht mir in die Hose. Doch nach ein paar weiteren Versuchen erwacht der Motor endlich zum Leben. Ich drehe die Heizung auf. Kalte Luft bläst mir entgegen, ich zucke zusammen und warte darauf, dass es warm wird. Ich sitze im Licht der Morgendämmerung, der Motor brummt und mein Körper taut langsam auf. Schließlich lege ich den Gang ein und fahre nach Cedar Cove zurück.

Kapitel 3
    Wenn ich von jedem Tag dreißig Minuten streichen könnte, wäre es die Mittagspause. Leider kann ich mein Essen nur mit der Chipkarte in der Cafeteria bezahlen. Wenn ich Grandma dazu überreden könnte, mir Bargeld mitzugeben, würde ich zu einer Tankstelle oder in einen kleinen Lebensmittelladen gehen. Nur um den quälenden Minuten in der Warteschlange bei der Essensausgabe zu entkommen.
    Ich klopfe ungeduldig mit der Chipkarte auf den Edelstahltresen. Die Frau dahinter schneidet mein Truthahnsandwich in zwei Hälften und legt es auf einen Pappteller. Ich schnappe mir den Teller und gehe damit zur Kasse. Die Kassiererin scannt rasch meine Karte und gibt sie mir zurück. Ich stecke die Karte in meine Gesäßtasche und laufe auf den Ausgang zu. Ich bin erleichtert, denn die Tortur ist fast vorüber.
    Zu spät wird mir klar, dass ich nicht gerade den besten Weg gewählt habe. Siennas Clique – zu der all meine alten Freunde gehören – hat in diesem Schuljahr einen anderen Tisch besetzt. Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich muss direkt an ihnen vorbei.
    Ich werde langsamer und überlege, ob ich mich einfach umdrehen und weglaufen soll. Doch dann stößt Nicki Kristi mit dem Ellbogen an und nickt in meine Richtung. In Sekundenschnelle starren mich alle an.
    Ich werde nicht wegrennen. Ich werde ihnen meine Unsicherheit nicht zeigen. Ich ziehe die Schultern zurück und laufe schneller, starre direkt geradeaus und konzentriere mich darauf, ein gleichgültiges Gesicht aufzusetzen. Fünfzehn Meter, dann bin ich frei. Dort winkt die Tür. Ganz nah.
    Doch ich bin so sehr damit beschäftigt, an Sienna und den anderen vorbeizuschauen, dass ich etwas auf meinem Weg übersehe und stolpere. Ich reiße die Arme hoch, um das Gleichgewicht zu halten, doch dabei rutscht mir der Teller aus der Hand. Ich schaffe es gerade so, nicht hinzufallen, aber mein Sandwich klatscht herunter und die Zutaten verteilen sich auf dem schmutzigen Boden.
    Alle am Tisch kichern und lachen. Mein Gesicht wird ganz heiß und ich stürze auf den Ausgang zu, achte diesmal jedoch darauf, dass nichts im Weg liegt. An der Tür drehe ich mich noch einmal kurz um. Es war ein Papierbeutel. Ich wäre fast über einen Papierbeutel gefallen.
    Ich schaue zum Tisch meiner alten Clique hinüber und mein Blick bleibt an der einzigen Person hängen, die nicht lacht. Cole. Sein Gesicht ist völlig ausdruckslos und er sitzt ganz still da. Wie immer ist er von Mädchen umringt.
    Ich drücke die Tür auf und haste zur Bank in der hintersten Ecke des Pausenhofes. Sie ist von Büschen umgeben, die mich vor Blicken aus der Cafeteria schützen.
    Ich ziehe die Beine hoch und lege die Arme darum. Ich lasse die Stirn auf die Knie sinken, schließe die Augen und atme ein paarmal tief ein und aus, um mein pochendes Herz zu beruhigen.
    Ich weiß, dass alle mir die Schuld an Stevens Tod geben. Ich weiß, das ist meine Strafe. Und ich weiß, ich verdiene sie. Sie glauben, ich hätte ihn irgendwie retten können, hätte die »sinnlose Tragödie«
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