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Der Kuss der Sirene

Der Kuss der Sirene

Titel: Der Kuss der Sirene
Autoren: Mandy Hubbard
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wird Cole seinem besten Freund auf dem Küstenfriedhof Gesellschaft leisten.
    Wieso ist er hier? Dieser See liegt in der Mitte des Tillamook State Waldgebietes, das sich über mehr als einhundertzwanzigtausend Hektar erstreckt. Es gibt bestimmt einen anderen Platz in diesem Wald, zu dem er gehen könnte.
    Ich lehne mich an den Baum, lege meine Stirn an die raue Rinde, schließe die Augen und atme den Duft der Zeder ein. Ich will nur, dass er geht. Trotz der kühlen Septembernacht fühle ich mich wie im Fieber. Allein die Nähe zum Wasser macht mich ganz krank. Meine Haut prickelt vor Verlangen und ich würde am liebsten einfach losrennen, bis ich hüfttief im See stehe und das Wasser meinen Körper umspielt wie ein Satinband, sodass all meine Sorgen, die Schmerzen und die Anspannung verfliegen. Manchmal frage ich mich, ob sich so ein trockener Alkoholiker fühlt, dem jemand ein Glas Bier in die Hand drückt. Ob sein Körper dann auch wie meiner einen Krieg mit dem Verstand führt?
    Mit jeder Sekunde, die verstreicht, bin ich näher daran nachzugeben, und ich hasse mich dafür. Er ist nur ein paar Meter von mir entfernt, ich wäre bei ihm, bevor er reagieren könnte. Ich überlege, ob ich einfach auf ihn zumarschieren und ihn anschreien soll. Ihm sagen, dass der See mir gehört. Würde er dann verschwinden? Oder würde es alles nur noch schlimmer machen? Vielleicht würde er sauer werden und jede Nacht zurückkommen, nur um mir auf die Nerven zu gehen.
    Ich kneife meine Augen noch enger zusammen, bis meine Wimpern die Wangen streifen. Ich weiß ganz genau, wie weit ich vom Wasser entfernt bin, weiß ganz genau, wie viele Schritte ich machen müsste, um meine Füße ins kalte, erfrischende Nass zu tauchen. Nur Cole steht zwischen mir und der Erlösung.
    Ich beiße die Zähne zusammen und wende mich ab. Eine Nacht halte ich aus. Aber wenn er morgen wieder hier ist, weiß ich nicht, ob ich noch einmal widerstehen kann.
    Und ich weiß nicht, ob er das überleben wird.

Kapitel 2
    Nicht genug, dass heute der erste Tag des Abschlussjahrs ist, es geht mir auch noch mies, weil ich nicht geschwommen bin. Jeder Schritt fühlt sich an, als bohrten sich Glasscherben in meine Haut. Es fällt mir schwer, nach außen hin gelassen zu wirken, denn am liebsten würde ich vor Schmerzen aufheulen und mich einfach zu einem Knäuel zusammenrollen.
    Jemand rempelt mich an der rechten Schulter an, ich taumle zur Seite und pralle so hart gegen die weiß getünchte Betonwand, dass es mir den Atem nimmt. Meine Lunge schreit förmlich nach Sauerstoff, ich schnappe nach Luft. Ich blinzle die Sternchen vor meinen Augen weg und werfe einen flüchtigen Blick auf die Person, die mich umgerannt hat.
    Es ist Nicki, ein Mädchen aus meiner alten Clique. Ihre tiefgrünen Augen funkeln kalt und böse. Sie benimmt sich ganz anders als in unserem ersten Highschooljahr, als wir zusammen Bio hatten. Damals waren wir ein tolles Team, wir alberten herum, arbeiteten bis zur Mittagspause durch und bekamen für jedes Laborprotokoll die Bestnote. Genau wie alle anderen kann sie nicht verstehen, warum ich sie aus meinem Leben ausgeschlossen habe. Das wird sie auch nie, weil ich ihr niemals die Wahrheit sagen werde. Sie sieht toll aus mit ihrem cremefarbenen Pulli und der rosafarbenen Perlenkette. Ich spüre einen Stich in der Brust. Zu Schuljahresbeginn haben wir früher immer gemeinsam Klamotten gekauft.
    Â»Eiskalt.«
    Das Wort wurde nur geflüstert, aber immerhin so deutlich, dass ich es nicht überhöre. Ich drehe mich um, weiß aber nicht, woher die Bemerkung kam. Ich klammere mich an die Gurte meines Rucksacks und atme tief ein, um das Brennen in meiner Lunge loszuwerden. Ich versuche mir vorzustellen, wie ich heute Abend in den See gleite und die Anspannung in meinen Gliedern einer tiefen Gelassenheit weicht.
    Ich presse die Lippen aufeinander und versuche Nicki und das Flüstern zu vergessen. Ich laufe weiter den Flur entlang, vorbei am Schwarzen Brett mit den Anmeldelisten zu den AG s, vorbei an einem Plakat, das zu einem Vorsprechen für das Herbsttheaterstück einlädt, vorbei an den Vitrinen mit den Pokalen. Einst bedeuteten mir diese Dinge etwas, doch jetzt hetze ich an ihnen vorbei, als würde ich Scheuklappen tragen, und tue so, als würde ich sie nicht schmerzlich vermissen.
    Ein paar Schüler aus der Abschlussklasse sitzen am
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