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Der Kuss der Sirene

Der Kuss der Sirene

Titel: Der Kuss der Sirene
Autoren: Mandy Hubbard
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Fenster. Ich spüre, wie sie mich anstarren. Ihre schmachtenden Blicke nagen genauso an mir wie die verächtlichen Blicke meiner früheren Freunde. Einer der Typen hat offensichtlich eine Freundin, denn sie scheuert ihm eine, dreht sich dann zu mir um und funkelt mich wütend an.
    Es ist nicht meine Schuld, dass sie mich so anstarren , sagt mein Blick. Ich trage die unauffälligsten Klamotten, die ich in meinem Schrank finden konnte: Jeans, einen langärmeligen schwarzen Pulli mit V-Ausschnitt und ein Paar ausgetretene Ballerinas. Mein langes Haar ist im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ich habe kein Make-up aufgelegt, doch ich weiß, dass das keinen großen Unterschied macht: Meine Haut ist makellos und meine Wimpern sind auch ohne Mascara dunkel und dicht.
    Ich haste drei Türen weiter, bis ich mich im Englischraum endlich hinsetzen kann. Als meine Füße sich entspannen, beiße ich die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuseufzen. Das Laufen hat mir noch nie so wehgetan. Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet. Es ist Monate her, dass ich das letzte Mal eine Nacht verbracht habe ohne zu schwimmen. Das war, als mein damaliger See von Campern überrannt wurde und ich dort wegmusste.
    Wie hat Cole meine neue Zuflucht gefunden? Was wollte er dort? Ich weiß nicht, ob ich die Kraft habe, mich erneut auf die Suche nach einem anderen See zu machen. Ich hoffe, Cole kehrt nicht noch einmal dorthin zurück.
    Ich lege den Kopf auf den Tisch. Meine Augen sind geschlossen, als ich den Stuhl neben mir knarren höre. Es muss der letzte freie Platz in der Klasse sein, denn sonst würde sich niemand neben mich setzen.
    Â»Lexi, du siehst nicht gut aus«, sagt eine männliche Stimme.
    Mein Mund wird trocken. Bitte lass es nicht Cole sein.
    Ich hebe den Kopf, um ihn finster anzusehen, doch als unsere Blicke sich treffen, stockt mir der Atem. Seine Augen leuchten in einem hellen Haselnussbraun. Letzte Nacht erschienen sie ganz dunkel, doch heute strahlen sie regelrecht in einer Mischung aus Braun- und Grüntönen, als hätte ein Maler seinen Pinsel in beide Farben getaucht und ihn dann kreisförmig über die Leinwand geschwungen. Seine Augen erinnern mich an die Spiegelbilder der Bäume unter Wasser, wenn deren braune und grüne Umrisse zu schimmernden Gebilden jenseits der Wasseroberfläche verschwimmen. Auch sein braunes Haar ist nicht so wirr wie in der Nacht – für die Schule bändigt er es immer mit etwas Gel. Strubbelig gefiel es mir besser.
    Â»Vielen Dank auch«, murmele ich und reiße meinen Blick von ihm los. Er trägt ein geknöpftes Hemd und darüber einen Pullunder. Was denkt er, wo wir hier sind, auf einer Privatschule? Ich drehe mich von ihm weg, lege meine Wange wieder auf die kühle Tischplatte und hoffe, dass er mich in Ruhe lässt.
    Â»Brauchst du vielleicht irgendetwas? Ein Glas Wasser, ein Aspirin oder so?«
    Ich setze mich auf und funkele ihn böse an. Seit zwei Jahren gehören wir nicht mehr zur selben Clique, seitdem haben wir kaum miteinander gesprochen.
    Â»Geht schon.« Schmerzmittel helfen nicht. Ich werde erst eine Linderung verspüren, wenn ich heute Nacht schwimmen gehe. »Gibt es nicht irgendein Mädchen, das du anbaggern kannst?«
    Er verdreht die Augen. »Du spielst also weiter die Eiskönigin?«
    Ich widerstehe der Versuchung, mich zu verteidigen. Als Steven noch am Leben war, sind Cole und ich überhaupt nicht miteinander klargekommen. Er hat so eine Art, Leute ständig herauszufordern, und er ist ein unheimlicher Besserwisser.
    Ich zwinge mich, den Blick nach vorn zu richten, denn jetzt kommt die Lehrerin herein und schreibt ihren Namen mit einem roten Marker in großer, schnörkeliger Schreibschrift an das Whiteboard: Mrs Jensen.
    Â»Hattest du wenigstens einen schönen Sommer?«
    Â»Muss das wirklich sein?« Ich zucke zusammen, während meine Schläfe heftig zu pochen beginnt. »Rück einfach mit der Pointe raus. Dann kannst du lachen und dich verziehen.«
    Jemand hinter uns prustet los und ich drehe mich um. Sienna, die kleine Miss Perfect, setzt sich hinter mich. Sie verhält sich mir gegenüber noch schlimmer als Nicki. Warum setzt sie sich ausgerechnet hierhin? Meine Blicke wandern durch den Klassenraum. Sie hat den letzten freien Platz bekommen. Vielleicht tauscht jemand mit mir. Oder vielleicht teilt die Lehrerin die Plätze neu
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