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Der Kuss der Sirene

Der Kuss der Sirene

Titel: Der Kuss der Sirene
Autoren: Mandy Hubbard
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wandert unruhig umher, als fürchtete er, dass wir beobachtet werden. Mein merkwürdiges Verhalten, der sich verfinsternde Himmel und die ohrenbetäubende Musik müssen ihn völlig durcheinanderbringen. Wahrscheinlich denkt er, ich wäre komplett verrückt.
    Und vielleicht bin ich das auch. Meine nackten Füße werden langsam kalt. Nur mühsam kann ich mich losreißen. Langsam gehe ich rückwärts, bis ich Wasser spüre. Dann bleibe ich stehen.
    Â»Kannst du mich hören?«
    Cole wirft mir einen fragenden Blick zu. Gut.
    Ich atme noch einmal tief ein und tauche in den See. Eine ganze Weile bleibe ich unter Wasser. Dabei schwimme ich mehrere Kreise, um mein wild pochendes Herz zu beruhigen. Meine Ausdauer beim Luftanhalten und das Schimmern meiner Haut müssen Cole von der Wahrheit meiner Worte überzeugen.
    Ich tauche auf. Cole ist noch immer am Baum, er trägt noch die Ohrstöpsel. Er verharrt reglos wie eine Statue.
    Aber etwas stimmt nicht … Sein Gesichtsausdruck. Cole ist keineswegs schockiert. Cole hat nur Angst. Angst um mich?
    Es zerreißt mir schier das Herz. Cole scheint zu glauben, dass ich ihn töten will.
    Wir starren einander an. Ich trete im Wasser auf der Stelle. Und dann bewegt er sich. Die Fessel ist weg!
    Da verformt sich plötzlich Coles schattenhafte Gestalt. Das verschwommene Bild wird plötzlich wieder scharf wie vor dem Objekt einer Kamera. Es ist Erik, der sich da vom Baum löst! Das Mondlicht erhellt sein Gesicht, seine Augen erscheinen dunkel und abstoßend. Sein verzerrtes Lächeln jagt mir einen eisigen Schauer über den Rücken. Er macht einen weiteren Schritt in meine Richtung.
    Erik scheint zu triumphieren. Was hat er vor?
    Aber es kommt noch schlimmer: Auch Sienna tritt aus dem Wald. Sie ist im Schlafanzug. Sie trägt eine Flanellhose und ein dunkelgraues Cedar-Cove-Highschool-T-Shirt, das sie sich wahrscheinlich von Patrick geliehen hat. Dieses Detail verstört mich: Hat Erik sie etwa aus dem Bett gezerrt und hierhergebracht?
    Wieder ergreift mich Panik. Wie viel hat sie gesehen? Ihrer Miene nach: genug. Ich beiße mir so fest auf die Unterlippe, dass ich Blut schmecke.
    Aber warum sollte Erik so etwas tun? Warum sollte er all seine Hoffnungen auf einen Schlag zerstören?
    Ich schwimme, bis meine nackten Füße den Uferschlamm spüren, und haste an Land. Ich fühle mich verlegen, weil ich fast nackt bin. Instinktiv laufe ich los, um meine Sachen zu holen, aber sie sind weg. Gestohlen.
    Ich laufe rückwärts zum Ufer zurück und verberge meinen Körper im Wasser. Meine Haut kribbelt. Ich möchte die schillernden Schuppen an meinen Beinen gar nicht sehen. Obwohl ich keine Ahnung habe, was Erik eigentlich will, ist mir eines klar: Er hat jetzt die Kontrolle. Will er, dass ich im Wasser bleibe oder dass ich rauskomme? Und warum hat er Sienna mitgebracht? Um mein Leben völlig zu zerstören? Ist er in Panik geraten, weil ich ihn zurückgestoßen habe?
    Ich mache ein paar Schritte nach vorn, bis ich wieder an Land bin. Ich sollte in ruhigem Ton meine Kleider zurückfordern, aber ich bin zu wütend. Ist Erik so verzweifelt, dass er mich von allen anderen trennen will? Glaubt er, dass er mich bekommt, indem er mich isoliert?
    Â»Was glaubst du eigentlich, was du da tust?« Ich sollte wütend und bestimmt klingen, doch meine Stimme ist dünn.
    Â»Ich will nur sichergehen, dass ich auch bekomme, was ich verdiene.« Aufrecht steht er da, ein breites Lächeln auf dem Gesicht – als würde der See ihm allein gehören. Er ist nicht mehr wie der Junge, mit dem ich die letzten Wochen verbracht habe. Er ist überhaupt nicht mehr er selbst.
    Â»Was soll das heißen?«
    Â»Ich habe hart an deiner Zukunft gearbeitet. Und ich werde nicht zulassen, dass du sie wegwirfst.«
    Â»Was bist du?« Sienna springt auf mich zu. Ihre rosa Pantoffeln versinken im Schlamm, der Wind zerzaust ihr Haar. Sie steht fast vor meiner Nase. Ihre Hände öffnen und schließen sich. Ich bereite mich innerlich auf eine Ohrfeige vor.
    Doch sie bleibt aus. Sienna scheint unter Schock zu stehen, weiß nicht, was sie tun soll. Natürlich versteht sie nichts von dem, was hier passiert.
    Â»Bist du hierher gefahren?«, frage ich.
    Sie blinzelt.
    Erik versucht währenddessen Cole in Schach zu halten. Seine Hände sind hinter seinem Rücken zusammengebunden, er hängt aber nicht
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